Glatzköpfig, Stimmlos, gebrochen

■ Packhaus-Premiere: „Bent —Rosa Winkel“ von Martin Sherman, inszeniert von Michael Derda

Das Stück ist eine Erblast, aber wir wollen ja nicht so sein. Als damals, vor knapp zwei Jahren, Andrea Krauledat und der damalige Fricsay-Schauspieler Michael Derda die Leitung des Packhaus- Theaters im Schnoor übernahmen, waren Querelen um „BENT — Rosa Winkel“ ein wichtiger Streitpunkt gewesen, der zuvor zur Ablösung der alten Geschäftsführung geführt hatte. Für das Packhaus-Theater, das ansonsten eher mit seichten Boulevard- Stückchen sein Stamm-Publikum amüsiert hatte, war ein Stück über Schwule im KZ nicht eben leicht verdaulich. So kamen also Krauledat und Derda, und weil die Verträge nun einmal geschlossen waren und kein Weg mehr um die Lizenzgebühr herumführte, und auch, weil Michael Derda mit dem Stück eigene Regie-Ambitionen verband, mußte man irgendetwas damit anfangen. Warum es nicht einfach spielen, denn immerhin war es an anderen Bühnen ein echter Publikums- Renner gewesen.

Dabei beginnt es ganz harmlos. Im echten Boulevard-Ambiente, Plüschsofa, Blumenbank, wohnen Max (Dominik Stein) und Rudi (Bernd Poppe) in trauter, schwuler Zweier-Idylle. Rudi ist Tänzer, frisch und munter, tuckig überkandidelt, und Max der coole, schwule Vamp, der immer mal wieder, im Kokain-und Alkohol-Nebel, schmucke Kerle mit ins Ehebett schleppt. Ganz wie wir dunkelblauen Hanseaten uns das vorstellen, das Klischee, es trapst, das fast der düstere Trommeltakt, der die einzelnen Episoden einläutet, übertönt wird. Aber noch befinden wir uns in einem schnuckeligen, kleinen Beziehungs-Komödchen, und da muß das so sein. Nur die Protagonisten sind eben anders gepolt.

Das Unheil kommt mit der Zeitrechnung. Wir schreiben den Tag nach dem Röhm-Putsch, als sich Hitler der SA entledigte und die Schwulen zur Jagd freigab. Für Max und Rudi beginnt die gemeinsame Flucht, langsam setzt sich das Stück in Bewegung. Die opulenten Kulissen verschwinden, die Beleuchtung wird spärlich, trennt die verschiedenen Szenen voneinander und schließlich, nach ihrer Festnahme, auch Max und Rudi. Ende des langen Vorspiels, Pause, danach beginnt das Stück.

Das Licht hell, links ein Haufen mit Wackersteinen, im Hintergrund ein hoher Zaun mit Stacheldraht, zu sehen ab jetzt, mit kleinen Unterbrechungen, nur noch zwei Männer in Sträflings-Uniform. Max, der skrupellose Geschäftemacher, hat es erreicht, daß an seine Uniform nicht der Rosa Winkel heftet, mit dem die Nazis Schwule kennzeichnen sondern der gelbe Stern, der bedeutet Jude. Dadurch genießt er das Privilegium einer Arbeit, die vergleichsweise milde ist, relativ lax überwacht. Es schleppt die Steine von dem Haufen links auf einen Haufen rechts und anschließend wieder zurück. Er sorgt dafür, daß ihm Horst (Rainer Suter) zugeteilt wird, einer mit dem rosa Winkel, den er im Deportationszug kennengelernt hatte. Es herrscht Kommunikationsverbot, aber wenn sie ihre Steine schleppen, wenn einer beladen nach rechts schlurft und der andere mit leeren Händen nach links, da können sie miteinander reden, können sich in die Augen schauen, auf den Körper. Können sich aus der von außen überwachten Distanz kennenlernen und lieben.

Dominik Stein und Rainer Suter schaffen es in der knappen Stunde, die sie allein auf der Bühne sind und nichts tun als Steine hin und her zu schleppen, die Spannung aufzubauen, die die immer intensivere Beziehung zwischen Max und Horst glaubbar macht. Durch die Reduktion aller theatralischen Mittel auf ein Mindestmaß, durch die karge Ästhetik des zweiten Teils der Inszenierung macht sie sich frei vom Hauch des Kitsches, der auf dem ersten Akt lastete. step