Der neue Besen im Theater: Heyme!

■ Wirklich wahr: Hansgünther Heyme wird Nachfolger von Tobias Richter als Generalintendant des Bremer Theaters

Der hohe Theater-Aufsichtsrat hat entschieden: Habemus! Wenn nicht noch höhere Gewalten dreinschlagen, wird Hansgünther Heyme nächstes Jahr nach Bremen kommen und Tobias Richter als Generalintendant ablösen. Heyme, bislang Schauspieldirektor in Essen, hatte sich erst in der vergangenen Woche beworben: für die Findungskommission durchaus ein kleines Sensatiönchen. Da hatten die Finder dem Aufsichtsrat schon ein kleines Empfehlungspaket geschnürt, bestehend aus drei Kandidaten: Hans Jens Jensen (Stellvertreter Peymanns am Wiener Burgtheater), Holk Freytag (Intendant in Wuppertal) und einem unbekannten Dritten, der sich nach Heymes Bewerbung sogleich zurückgezogen hat.

Zu Recht. Daß es einen vom Schlage Heymes nach Bremen ziehen könnte, hat, als die Findungskommission unter Andreas Fuchs, Chef der Senatskanzlei und der Theater GmbH, im Herbst letzten Jahres ihre Arbeit aufnahm, niemand erwartet. Immerhin begibt sich der neue Intendant nicht nur in ein schwer deprimiertes Haus, sondern auch gleich in Schuldknechtschaft: Dreißig Millionen Mark Umbaukosten wollen ja noch abgestottert werden.

Was Heyme bewogen hat, ausgerechnet jetzt sein gerade erst ausgebautes Grillo-Theater in Essen zu verlassen, war, wegen Geheimhaltungsstufe Rot, bis Redaktionsschluß nicht zu erfahren.

Hansgünther Heyme Foto: Archiv

Allein daß er kommt, hat die Finder, voran Fuchs, genug erleichtert: Heyme ist kein junger Hirsch mehr, der werweißwohin springt; er ist einer der letzten großen Regisseure, die mit jeder Inszenierung ganz gelassen den Zustand der Umstrittenheit anstreben.

Heyme (geb. 1935), der jetzt schon fast als der einzige Überlebende jener kampflustigen Generation gilt, die dereinst die Fahne des politisch selbstbewußten Re

gietheaters trugen, hat vor mehr als dreißig Jahren bei Erwin Piscator als Assistent angefangen. In dessen Nachfolge, sagt er, steht er heute noch. 1964 wurde er Schauspielleiter in Wiesbaden, wo ihm seine Marat/Sade-Inszenierung ersten überregionalen Erfolg brachte. Vier Jahre später wechselte er nach Köln, wo er, erst in einem dreiköpfigen Direktorium, später als Solist, das Schauspiel leitete. In die Kölner

Zeit fällt seine erste richtig umstrittene Inszenierung, der Faust II des Jahres 1977. Wie in den meisten seiner Arbeiten hatte er auch hier eine klassische Vorlage, ein Material also, mit den Mitteln des experimentellen Theaters bis aufs äußerste verfremdet, als ein kampflustiger Unterwühler altgedienter Gleiskörper.

Die Kritik hat seither kaum eine Gelegenheit ausgelassen, daran Anstoß zu nehmen. In Stuttgart hielt sich Heyme mit bewunderungswürdiger Zähigkeit sechs Jahre lang (von 1979 bis 1985) gegen den wüsten Sturm der Lokalkritik, die vor ihm Claus Peymann verjagt hatte. Schon seine Antrittsarbeit, der Hamlet aus der Kölner Zeit, kam nicht an. Hauptsächlich wegen der zahllosen Fernseher, mit denen Wolf Vostell die Bühne bestellt hatte.

1985 ging Heyme nach Essen und brachte dort ziemlich schnell ein verdrossen dahinwerkelndes Schauspiel auf die Beine. Mit wie immer ehrgeizigen und großangelegten Vorhaben: mit Klassikerzyklen, deren unerschöpftes „Reservoir an Utopie“ (Heiner Müller) ihn nicht losläßt; mit Antikenprojekten (seine zweite Spezialität); und mit viel Drumrum: mit Einführungen, öffentlichen Proben, Vorträgen, Lesungen, Schulbesuchen und Führungen, Seminaren und Festen hat er für ein reges Diskussionsklima im und ums Theater gesorgt. (Womit er hierzulande ziemlich einschlagen dürfte).

Heyme ist einer, der seinen Ort beackert, kaum Gastinszenierungen macht und auch sonst nicht von der Stelle weicht: ein gefürchteter Kulturkämpfer. Seine erbitterte Attacke gegen eine zehnprozentige Kürzung des Essener Theateretats machte, 1988 zur öffentlichkeitswirksamen „Protestaktion gegen den Theatertod in NRW“ erweitert, nicht nur Theatergeschichte. Sie hat ihm nicht nur, wie ihn Frieder Reininghaus in einem taz-Gespräch nannte, den Ruf des „führenden Heilpraktikers am Krankenbett des Theaters“ eingetragen. Die FAZ schrieb von „seiner wichtigsten Inszenierung seit langem“.

Manfred Dworschak