»Schicksalhaftigkeit der Verstrickung berücksichtigen«

■ Der ehemalige APO-Anwalt Horst Mahler zur Zulassung von 50 zweifelhaften Ostberliner Anwälten und Richtern INTERVIEW

Der frühere APO-Anwalt und ehemalige RAF Anhänger Horst Mahler wurde 1974 unter anderem wegen Beihilfe zum gemeinschaftlich versuchten Mord zu 14 Jahren Knast verurteilt. Seit 1986 kämpfte er um die Wiederzulassung als Anwalt. Sie wurde ihm erst 1988 erteilt, nachdem der Bundesgerichtshof die entsprechende Entscheidung des Berliner Justizsenators aufhob.

taz: Ihnen wurde die Wiederzulassung zum Rechtsanwalt mit dem Hinweis auf das »Reinhaltungsgebot« des Anwaltsstandes versagt. Rund fünfzig Rechtsanwälte und Richter aus Ost-Berlin, die in das DDR-Unrechtssystem verstrickt waren, werden jetzt problemlos Anwälte. Ist das gerecht?

Horst Mahler: Ich möchte eine Trennung vornehmen zwischen meinem Fall und diesen Fällen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn Sie die Fälle meinen, wo Richter sich aus dem Justizdienst der ehemaligen DDR dadurch verabschiedet haben, daß sie ihre Zulassung als Anwälte beantragt haben, finde ich das schon mal positiv. Sie haben selbst die Einsicht vollzogen, daß sie als Richter nicht geeignet sind. Der Rechtsanwaltsstand als freier Berufsstand kann eher solche Menschen in dieser Berufsrolle verkraften, und man sollte die Ausschlußgründe sehr eng auslegen: Wenn eine gerichtliche Verurteilung vorliegt, die sie nach den allgemeinen Kriterien als unwürdig erscheinen läßt, ist das o.k. Aber dann muß man ihnen auch den Prozeß machen. Ansonsten sollte man mit Großzügigkeit darüber hinweggehen, um die Schicksalhaftigkeit dieser Verstrickung zu berücksichtigen. Außerdem kann man diese Menschen nicht einfach wegkippen.

Ein ehemaliger SS-Hauptsturmführer wurde 1953 mit der Begründung wieder als Anwalt zugelassen, daß er in ein Unrechtssystem »verstrickt« war, dem damals viele erlegen seien. Nach dem gleichen Prinzip — Schwamm drüber — wird jetzt auch bei den Stasispitzel-Anwälten und berüchtigten Richtern verfahren. Wehe aber, ein ehemaliger RAF-Anhänger begehrt die Wiederzulassung...

Sie sprechen Fälle an, die mich schon immer geärgert haben. Zum Beispiel der Fall Reinefarth, der an der Ausräucherung des Warschauer Ghettos beteiligt war und auf Westerland sehr schnell Anwalt geworden ist. Das war ein Mangel in der sogenannten Vergangenheitsbewältigung. Jetzt haben wir es es nicht mit Rechtsextremisten zu tun, sondern mit Nutznießern oder Parteigängern eines Regimes, das sehr kontrovers beurteilt wird, aber insgesamt wohl auch ein diktatorisches Unrechtsregime war.

Die Frage ist, ob man jetzt hier strengere Maßstäbe anlegen soll als bei den Überbleibseln der braunen Diktatur. Da würde ich vor warnen. Interview: Plutonia Plarre