Der Kormoran im Öl war ein riesiger Propagandabluff

■ Die ersten TV-Bilder von Wasservögeln im Kampf gegen die Ölpest im Golf kamen aus dem Archiv/ Mit Richtigstellungen hatte es die Presse nicht eilig

Stockholm (taz) - Kein Fernsehkonsument wird ihn vergessen haben: der vom Öl verschmierte Kormoran, der vor der Fernsehkamera einen aussichtlosen Kampf gegen die schwimmende Ölpest vor Saudi- Arabiens Küste ausfocht. Eine gute Woche nach Beginn des Krieges, kein einziger Toter war bisher durch die Filter der Zensur auf die Mattscheibe gelangt, war der Kormoran so etwas wie das erste Symbol, das erste wirkliche Opfer für Millionen ZuschauerInnen. Die Verdammung Saddam Husseins wurde bildlich gemacht, an den letzten Zweifeln kriegsskeptischer Grüner an der Notwendigkeit der Schlacht gegen Saddam gerüttelt.

Die Filmsequenz war ein Propagandabluff. Einer von vielen nur, aber ein sehr bezeichnender. Der Kormoran hatte sein Leben schon lange vorher lassen müssen. In einer Öllache, die mit den vor Kuwait geöffneten Ölleitungen nichts zu tun hatte. Als das Bild des gegen den Tod kämpfenden Kormorans um die Welt ging, hatte die Ölpest noch gar nicht den Strand von Saudi-Arabien erreicht. Doch Bilder mußten her, um Saddam Hussein als Umweltterorristen ganz augenfällig abzustempeln. Der Kormoran wurde aus dem Archiv geholt.

Haarklein nachgewiesen hat die ganze Geschichte jetzt der US-Medienwissenschaftler Phillip Knightley. Selbst als früherer Kriegsreporter mit dem Propagandahandwerk bestens vertraut und als Herausgeber des Buches The first casualty, das sich kritisch mit der Rolle der Medien im Vietnamkrieg beschäftigt, als Experte ausgewiesen. Er zweifelte an der Authentizität der Kormoranbilder, ging der Geschichte nach und wurde fündig: „Die Fotos und der Film mit dem Vogel hatten nichts mit dem Ölaustritt vor und in Kuwait zu tun — dieser hatte noch gar kein Küstengebiet erreicht.“ Die Nachrichtenagentur 'ap‘, die das Kormoranfoto aus der Fernsehsequenz am 26. Januar als Pressebild weltweit verbreitet hatte, gab Knightley gegenüber an, man habe drei Tage später ausdrücklich in einem Fernschreiben diesen Sachverhalt auch bekannt gemacht. Doch nicht nur Knightley suchte vergeblich die Medien nach irgendeinem Hinweis zu dieser „Richtigstellung“ ab.

Knightley will nicht mißverstanden werden. Natürlich hat der Ölaustritt, an dem Irak auch oder vorwiegend schuldig ist, die Vogelwelt, die Fische, das gesamte Ökosystem des Persischen Golfs auf Jahre hin schwer gestört, vielleicht zum Teil unwiderbringlich zerstört. Was er kritisiert, ist die Propagandaschlacht der US-Alliierten, die eben auch zu irgendwelchen Archivbildern griffen, um die passende Stimmung verbreiten zu können. Und die Haltung der Medien: „Keine Fernsehanstalt, die diesen Teil des US-Videos herausschnitt, kaum eine Zeitung (die taz eingeschlossen), die auf das Bild verzichtete — obwohl die Fälschung so augenfällig war. Und kaum eine spätere Berichtigung, obwohl jedem Journalisten die zentrale Propagandawirkung gerade solcher Bilder bewußt ist.“ Da bemerkt sogar der Heilige Vater in Rom, daß es dem Massenmedien offenbar am „Respekt vor der Wahrheit mangelt“. Reinhard Wolff