JANOS PILINSZKY (1921-1981) 17

KULTURDIENSTAG, 5.3.91

Fragt man in Budapest jüngere Autoren wie Peter Nadas, György Petri oder Peter Esterhazy nach dem wichtigsten ungarischen Lyriker dieses Jahrhunderts, so wird neben Sandor Weöres immer wieder, fast ehrfürchtig, Janos Pilinszky genannt. Und Weöres selbst, ein großer Dichter und unbestechlicher Geist, nannte ihn „unseren Größten“.

Pilinszky gehört zu jener Generation zentraleuropäischer Dichter, der auch Herbert, Popa und Holub zuzurechnen sind. Daß die Ungarn dazu neigen, ihm einen Rang außerhalb der „landläufigen“ Poesie und außerhalb der anderen Lyriker einzuräumen, hat nicht mit imaginativer und sprachlicher Fülle zu tun — er veröffentlichte nur einige schmale Gedichtbände —, sondern mit seiner mystischen Grundhaltung (Pilinszky war Katholik, ohne den Dogmen der Kirche zu folgen) und seiner Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Todeslager. „Mich persönlich“, bekannte Pilinszky, „unterwies der Krieg in der Realität der Gesellschaft, der Menschheit, der Welt jenseits des persönlichen Schicksals... Allesamt hatten wir durch den Krieg unser Zuhause verloren, und unser universales Zuhause war die gemeinsame Tragödie geworden.“ Die Gedichte einer ersten Schaffenszeit (1946-1959) schreien stumm gegen den „metaphysischen Skandal unseres Jahrhunderts“ an. Dann, nach Jahren des Schweigens, setzt eine zweite Schaffensperiode ein, „die sich von der ersten durch ihre Individualität in Ton und Thematik unterscheidet, die ihn aus der Stummheit, nicht aber aus der Einsamkeit herausgeführt hat“ (Hans-Henning Paetzke). In dem Gedicht Großstadtikonen (1963) — Reflexion auf einen Besuch des Lenin-Mausoleums in Moskau — kündigt sich diese zweite Schaffenszeit an. Die Gedichte werden knapper, noch einfacher — wie arte povera muten sie an, doch sie sind stolz auf ihre Armut und leuchten von innen heraus von metallischer Strenge und musikalischer Intensität. Nach wie vor spricht Pilinszky aus dem Katastrophen-Zentrum der Welt. Mit Mühe kommen die Worte aus einem Kern der Stille und vertiefen diese Stille noch. „Ich würde gerne so schreiben“, sagt Pilinszky, „als hätte ich Schweigen bewahrt.“ Das fast schon nicht mehr nennbare Leiden einer Kreatur, die dem Faschismus, dem Krieg und den Gaskammern begegnet und im dunkelsten Zentrum des 20.Jahrhunderts lebt, verbindet ihn mit Paul Celan und Nelly Sachs. Aber Pilinszkys wirkliche Weggefährten sind keine Dichter, sondern van Gogh, einige Helden Dostojevskijs und Simone Weil. Die ungarische Lyrikerin Agnes Nemes Nagy erinnert sich, wie er in den dunklen Straßen des Budapests der fünfziger Jahre entlangging, in einem zu kurzen Mantel, zu eng um die Schultern: „Er ging wie eine verfolgte Legende. Und genau das war er.“ Joachim Sartorius

Alle Gedichte auf dieser Seite aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke.

Lieferbar: Janos Pilinszky: „Lautlos gegen die Vernichtung“. Gedichte ausgewählt und übertragen von Hans-Henning Paetzke, Ammann Verlag, Zürich 1989