„Ich bin keine zweite Frau Honecker“

Bei der Neufassung des Paragraphen 218 will die Frauen- und Jugendministerin Angela Merkel (CDU) weg von Schwarzweißmalerei. Für ihr Modell zwischen Fristen- und Indikationenlösung hat sie „noch keinen Namen“. Die Frau soll aber selbst entscheiden können.  ■ VONHELGALUKOSCHATUNDTINASTADLMAYER

taz: Das umstrittenste frauenpolitische Thema ist zur Zeit die Neufassung des Paragraph 218. Sie haben als Frauenministerin immerhin die Mitfederführung. Wie wollen Sie sich einmischen?

Angela Merkel: Der Paragraph 218 gehört in das Strafgesetzbuch und deshalb ist der Justizminister federführend. Als Frauenministerin steht mir jedoch nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung ein Beteiligungsrecht in allen Belangen zu, die frauenpolitisch besonders relevant sind. Dies ist beim Paragraphen 218 unstrittig der Fall. Das heißt, ich bin in jedem Fall zu beteiligen und kann an Frauen besonders betreffenden Gesetzgebungsvorhaben mitarbeiten.

Aber Sie haben kein Vetorecht?

Das habe ich nicht. Im Falle des Paragraphen 218 rechne ich aber auch nicht mit einem Regierungsentwurf, sondern mit Entwürfen aus der Mitte des Parlaments.

Das sieht die Familienministerin Hannelore Rönsch aber anders. Sie kündigte einen Regierungsentwurf für Ende des Jahres an.

Zur Verbesserung des Schutzes des ungeborenen Lebens gehören auch eine Reihe von Maßnahmen zur Hilfe und Beratung von Frauen in Konfliktsituationen. Hierzu rechne ich sehr wohl mit entsprechenden Gesetzgebungsmaßnahmen der Bundesregierung.

Und wie sieht Ihre Meinung als Frauenministerin aus?

Mein Ziel ist, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche deutlich zu senken. Wir haben gesehen, daß das mit Strafandrohung nicht zu erreichen ist. Die Gesellschaft ist vielmehr verpflichtet, Frauen das Ja zum Kind zu erleichtern. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Letztendlich muß die Frau selbst entscheiden: will ich das Kind haben oder nicht.

Unterstützen Sie damit den FDP- Entwurf, der die Abtreibung in den ersten drei Monaten straffrei stellt?

Nein, so einfach kann ich den nicht unterstützen. Darin fehlt mir die Aussage, daß der Schwangerschaftsabbruch ein äußerstes Mittel ist, um mit einer Konfliktsituation fertigzuwerden, und kein normales Mittel der Familienplanung.

Wollen Sie einen Zwang zur Beratung vorschreiben?

Ich nenne es lieber Verpflichtung; und ich stehe zu dieser Verpflichtung, weil ich selber weiß, daß man manchen Auseinandersetzungen innerlich aus dem Wege geht. Die Beratung soll ja keinen moralischen Druck auf die Frauen ausüben. Es sollte eine Beratung sein, in der sich die Frau, wenn sie in dieser Konfliktsituation ist, über die ihr zustehenden Hilfen und mit dem Abbruch zusammenhängenden Fragen informieren kann. Sie soll aber zum Schluß der Beratung selbst die Entscheidung treffen können.

Sie wollen eine Indikationenlösung, bei der aber die Frau entscheidet, ob eine Indikation vorliegt und nicht ein Dritter?

Nun,ich möchte nicht auf Begriffe festgelegt werden, die meinen Vorstellungen nicht gerecht werden. Man kann nicht einfach alle Überlegungen mit den Begriffen Fristen- oder Indikationenlösung beschreiben. Es gibt nicht nur schwarz und weiß in dieser Frage. Im Unterschied zur Indikationenlösung, wie sie jetzt in der Bundesrepublik besteht, will ich der Frau die Entscheidung zubilligen. Nur hab ich dafür noch keinen Namen gefunden. Ich bin der Meinung, daß wir Frauen nach den Spielräumen suchen müssen, die uns die Verfassung in dieser schwierigen Frage zubilligt.

Wie ist das mit dem Beratungsziel? Sie kritisieren am FDP-Entwurf, daß dort der moralische Zeigefinger zu kurz kommt?

Was ich will, hat mit moralischem Zeigefinger nichts zu tun. Eine achtzehnjährige ist ungewollt schwanger, und der Freund ist weggerannt. Oder eine Frau ist Mitte dreißig, hat schon zwei Kinder großgezogen und ist gerade wieder in den Beruf eingestiegen. Wenn diese Frauen glauben, ein Kind nicht großziehen zu können, dann müssen wir ihnen helfen. Das ist auch der Auftrag aus dem Einigungsvertrag. Eine Schwangerschaftsunterbrechung ist ja von der seelischen Lage her kein leichter Gang. Und gerade deshalb will ich, daß Frauen, die sich in einer Konfliktsituation zum Schwangerschaftsabbruch entscheiden, nicht länger kriminalisiert werden. Denn ich bin überzeugt, daß in den seltensten Fällen eine solche Entscheidung leichtfertig gefällt wird. Aber wenn wir eine Lösung finden wollen, die auch verfassungsrechtlich Bestand hat, dann muß der Gesetzgeber einen Weg finden, der deutlich macht, daß er den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich mißbilligt, weil das Leben — auch das Ungeborene — grundrechtlich geschützt ist. Und dieser Wille kommt mir im FDP- Entwurf nicht deutlich genug zu Ausdruck.

Familienministerin Rönsch sagt: Ziel der Beratung müsse sein, „eine Lebensperspektive für Mutter und Kind aufzuzeigen und zu schaffen“.

Es geht darum, die gesellschaftlichen Möglichkeiten und Hilfen für ein Leben mit Kindern zu verdeutlichen.

Aber wie will man in einer Beratung Perspektiven schaffen? Wie soll das gehen?

Nach dem Einigungsvertrag soll schwangeren Frauen in Konfliktsituationen die Entscheidung für das Kind vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche auf soziale Hilfen erleichtert werden.

Soll über dieses Beratungsgespräch, wie Rita Süssmuth vorschlug, ein Protokoll verfaßt und an den Arzt weitergeleitet werden?

Ich kenne eine solche Forderung von Frau Süssmuth nicht. Ich glaube auch nicht, daß dies zur Verbesserung der Beratung beitragen könnte.

Sie haben in ihrem Ministerium einen Etat von fünfzehn Millionen D-Mark für die Frauenpolitik. Damit können Sie doch gerade mal zwei Projekte finanzieren?

Nein, es geht schon etwas mehr. Wir unterstützen zum Beispiel die Verbandsarbeit breit und finanzieren darüberhinaus Modellprojekte. Beispiele sind die Beratung von gewalttätigen Männern und mißhandelten Frauen, die Beratung sexuell mißbrauchter Mädchen und die Unterhaltung von siebzehn Beratungsstellen für Frauen, die nach der Familienphase in den Beruf zurückkehren wollen. Hierfür finanzieren wir auch Wiedereingliederungshilfen. Die Abteilung Frauen hat vor Jahren mit 3,8 Millionen D-Mark angefangen, Jetzt sind wir bei fünfzehn Millionen. Wir können ohnehin nur Modellprojekte damit fördern, denn für die Finanzierung von Frauenhäusern zum Beispiel sind die Bundesländer zuständig.

Müßten nicht gerade jetzt in den neuen Bundesländern Frauenhäuser auch mit Unterstützung der Bundesministerin aufgebaut werden?

Das ist richtig. Vor der Vereinigung wurde von der Regierung der DDR eine Anschubfinanzierung geleistet. Ob sich das mit Bundesmitteln fortsetzen läßt, wird von den weiteren Haushaltsberatungen abhängen. Ich wäre sehr froh, wenn das gelänge. Durch den verbesserten Länderfinanzausgleich werden nun auch die Möglichkeiten der neuen Bundesländer wachsen. Das gilt ebenso für die Einrichtungen zur Kinderbetreuung.

Welche Schwerpunkte wollen Sie angesichts des beschränkten Etats setzen?

Frauenpolitik läßt sich nicht allein mit Geld machen. Einer meiner Schwerpunkte ist die Durchsetzung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz, wie er in der Koalitionsvereinbarung beschlossen wurde. Eine ausreichende Zahl von Kinderbetreuungseinrichtungen ist ja die Voraussetzung dafür, daß Frauen Familie und Beruf vereinbaren können.

Mein zweiter Schwerpunkt ist das geplante Gleichstellungsgesetz. Das wird ein Artikelgesetz werden. Darin geht es um die Rechte der Frauen am Arbeitsplatz, um den Ausbau der Teilzeitarbeit, um das Mitspracherecht der Betriebsräte bei der Frauenförderung und um die Stellung der Frauenbeauftragten. Außerdem muß im Arbeitsförderungsgesetz festgelegt werden, daß Frauen bei Umschulungen und AB- Maßnahmen entsprechend ihrem Anteil an der Arbeitslosenquote berücksichtigt werden.

Haben Sie sich vor ihrer Kür zur Ministerin auch schon mit Frauenpolitik beschäftigt?

Ich habe Frauenpolitik in meinem früheren Leben weniger auf meine Fahnen geschrieben; ich habe sie gelebt. Als Physikerin war ich in einer klassischen Männerdomäne tätig. In meiner Forschungsgruppe habe ich manches Gerangel zwischen Frauen und Männern erlebt. Ich stellte fest, daß es mit der Akzeptanz von Frauen manchmal schwierig ist. Aber die Frauen selbst haben manchmal auch Angst vor dem eigenen Mut und schrecken vor der Verantwortung zurück.

Welche Schlüsse ziehen Sie heute daraus?

...daß Mädchenprojekte wichtig sind. Man muß früh versuchen, Mädchen für andere Berufsfelder zu interessieren. Ich will Mädchen und Frauen ermutigen, sich mehr zuzutrauen. Auf der anderen Seite muß man natürlich versuchen, die klassischen Frauenberufe aufzuwerten.

Ist nicht auch die Quote notwendig?

Ich glaube, die nützt nichts. Man muß vorher dafür werben, daß sich mehr Frauen für den Beruf interessieren. Ich lehne es ab, zu sagen: Jeder dritte Lehrstuhlinhaber muß eine Frau sein. Wenn es zwei gleich gute Bewerber sind, sollte man der Frau die Chance geben.

Ist für Sie, wie für viele Bürgerinnen und Bürger aus der ehemaligen DDR „Feminismus“ ein Schimpfwort?

Es ist kein wohlklingendes Wort. Der Feminismus ist eine Strömung, die aus einer Revolte heraus geboren ist. Das finde ich erst mal gut. Dann hat das Ganze jedoch ein Eigenleben entwickelt und geht jetzt an der Masse der Frauen vorbei. Ich möchte jedenfalls Frauenministerin für möglichst viele Frauen sein. Die Feministinnen schaffen es ganz gut, sich selbst zu artikulieren. Ich finde sie interessant und wichtig, würde mich da aber nicht zugehörig fühlen.

Suchen Sie den Kontakt zur autonomen Frauenbewegung im Westen und dem unabhängigen Frauenverband im Osten?

Die Projekte der autonomen Frauenbewegung werden von mir gefördert. Mit dem unabhängigen Frauenverband hatte ich viele Kontakte, als wir gemeinsam im Haus der Demokratie saßen. Jetzt treffe ich Christina Schenk regelmäßig im Bundestagsausschuß für Frauen und Jugend. Für Frauenverbandsarbeit in den neuen Bundesländern stehen ebenfalls Fördermittel zur Verfügung.

Wie wollen Sie als Jugendministerin den Jugendlichen in den neuen Bundesländern aus ihrer Angst und Orientierungslosigkeit helfen?

Nachdem die staatlich verordnete Orientierung weg ist, ist jetzt ein Vakuum entstanden. Ich will nicht von Bonn aus neue Orientierungen verordnen. Das muß schon von unten wachsen. Ich bin doch keine zweite Frau Honecker.

Reicht es aus, wenn Sie die Jugendverbände unterstützen, oder wollen sie neue Wege der Jugendarbeit suchen?

Ich will die freien Träger unterstützen. Sie sind Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft und können Jugendlichen verdeutlichen, was Meinungsvielfalt und Auseinandersetzung mit Andersdenkenden heißt. Sie leiden sehr darunter, daß sie zu wenig Geld haben. Mit dem Bundesjugendplan stehen 1991 180 Millionen D-Mark zur Verfügung. Wie in der Frauenpolitik fördern wir auch hier bundesweite Modellprojekte. Wir fördern auch den internationalen Jugendaustausch.

Wie wollen Sie damit Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit oder Rechtsradikalismus und Gewalt unter Jugendlichen in den Griff kriegen?

Ich kann hier nur auf Bewußtseinsbildung setzen. Ich sage immer wieder: Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern sind in einer besonders schwierigen Lage, weil sie innerlich noch nicht so gefestigt sind wie die Erwachsenen. Autoritäten und vertraute Verhältnisse sind weggefallen. Sie müssen jetzt Möglichkeiten finden, sich wieder zusammenzuschließen. Sei es um gemeinsam Sport zu treiben oder sich mit ihrer gesellschaftlichen Geschichte auseinanderzusetzen. Dazu kann ich als Ministerin nur indirekt Beiträge leisten, indem ich mich in den Bildungs-, den Wohnungs- und den Arbeitsbereich einmische. Die Situation der Jugendlichen in den alten Bundesländern ist zwar „besser“, aber auch immer noch weit entfernt von „gut“.