Irakische Perspektiven

■ Die Zukunft Saddam Husseins und die Proteste in Basra

Während des iranisch-irakischen Krieges schickten die Revolutionsexporteure in Teheran ihre Soldaten über die Minenfelder, um im Nachbarland eine Islamische Republik zu errichten. Die Angst vor einem „Übergreifen des islamischen Fundamentalismus auf die Region“ war es damals, die fast alle arabischen Staaten und den Westen an die Seite Saddam Husseins trieben. Nun melden schiitische Oppositionsgruppen aus dem Exil Erfolge im Kampf gegen den irakischen Diktator im Süden des Landes. Wenngleich die Lage vor Ort nach wie vor unklar ist, stellt sich die Frage, ob der alte Wunschtraum Khomeinis doch noch Wirklichkeit wird — als eine Folge des Krieges der Allianz gegen den Irak. Selbst wenn Proteste im Süden tatsächlich die Form eines fundamentalistisch inspirierten Aufstandes annehmen sollten, liegt die Perspektive zunächst weniger in der Ausrufung einer Islamischen Republik an Euphrat und Tigris als vielmehr in einer Lockerung des durch die Briten geschaffenen irakischen Staatengefüges.

Zu den alten Gründen für die Opposition gegen Saddam Hussein sind mit Krieg und Waffenstillstand neue hinzugekommen: Das Ausmaß von Tod und Zerstörung, das Basra in besonderem Maße getroffen hat, zählt ebenso dazu wie die Berichte von Soldaten, die jetzt von der Front nach Hause zurückkehren. Bereits in den letzten Wochen war die Bereitschaft von Menschen auf der Straße, gegenüber Journalisten ihre Meinung zu äußern, deutlich größer geworden, ein beachtliches Phänomen in einem von Polizei, Armee und Geheimdiensten kontrollierten Land.

Wenn es zu einer für das Regime bedrohlichen Rebellion im Süden kommt, dann dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die kurdischen Organisationen ihre 6.000 bis 10.000 Peschmergas mobilisieren. Für diesen Fall deutet sich ein bereits während des ersten Golfkrieges diskutiertes Szenario an: eine schiitische Region im Süden, ein autonomes Kurdistan und eine Art erweiterte Provinz Bagdad. Vieles wird freilich von der Reaktion des irakischen Militärs und Saddam Husseins abhängen. Der irakische Diktator könnte versuchen, den Protest durch eine innenpolitische, kosmetische Öffnung zu kanalisieren und seine Herrschaft so zu retten. In jedem Fall aber wird die Entwicklung namentlich von den Nachbarstaaten Türkei und Iran aufmerksam beobachtet werden. Teheran, das enge Beziehungen zur schiitischen Opposition im Irak unterhält, hat im Moment wenig Interesse an einer Auflösung des Iraks, könnte dies doch im Norden den regionalen Konkurrenten Türkei zum Eingreifen bewegen. Man darf desweiteren gespannt sein, auf welche Seite sich die USA schlagen werden: auf die der aufständischen, vornehmlich schiitischen Bevölkerung im Süden des Iraks oder auf die Seite Saddam Husseins — im Interesse der Stabilität in der Region. Beate Seel