Der Sog des Simulacrums

■ Wer ist echt: der „Wahre“ oder der echte „Weserkurier“?

Es ist schwer mit der Welt in diesen Kriegs-Tagen. Die Werte verfallen, allen voran die Wahrheit. Nichts läßt sich mehr glauben, nicht die Bilder des TV, nicht die Berichte der Zeitungen, nicht die amtlichen Bekanntmachungen.

In den Zeiten der Simulation blieb uns irritierten Informationsschluckern eine letzte Gewißheit: Egal, was darin steht, die Zeitung, die wir in unseren Händen halten, ist echt. Sie ist im gewohnten Format von den gewohnten Maschinen auf das gewohnte Papier gedruckt. Sie stammt aus dem gewohnten Verlagshaus und ist von den gewohnten Autoren verfaßt. Sie schmückt unseren Frühstückstisch und sorgt für das Verfliegen der morgendlichen Muffeligkeit.

Doch nun ist auch diese Gewißheit dahin. Unbekannte haben gestern eine vom Verlag nicht autorisierte „Sondernummer“ des Weser-Kurier simuliert. In unbekannter Auflage verteilten sie die stilgetreue, vierseitige Fiktion jener Zeitung, perfekt gestaltet wie aus dem Bremer Verlagshaus, mit den originalgetreuen Schrifttypen, mit den gewohnten Piktogrammen, dem Tagesspruch und dem „Tach auch...“ als Einleitung des Lokalteils.

Als „Wahren Weserkurier“ betitelten in ihrer beigelegten Presseerklärung die unbekannten Fälscher, gegen die Weser-Kurier-Verleger Herbert Ordemann sofort Strafanzeige erstattet hat, ihre Zeitung. In „piraterischer Absicht“ haben sie „die äußere Form des 'Weserkurier' gekapert.

Artikel, die „der militärischen und redaktionellen Zensur der letzten Wochen zum Opfer gefallen waren“ seien, so die Zeitungs- Piraten, Inhalt des kopierten WK, Artikel, die der flüchtigen Wahrheit „durch gezielte Operationen“ begegneten. Schamlos bedienen sie sich dabei „international geächteter Kampfmittel wie Satire und Zynismus“. Eingestreut in den „Wahren Weserkurier“ sind Artikel über Anti- Kriegs-Aktionen, über die Kosten des Golfkriegs und die Verdiener, über einen in den USA zum Tode verurteilten schwarzen politischen Gefangenen, die sich von der Satire absetzen, daß auch die vorschnelle Gewißheit, es handele sich um ein satirisches Blatt, zerrinnt.

Doch keine Angst: die KollegInnen vom „Wahren Weserkurier“ sind in den unbefristeten Streik getreten, es wird keine weitere Ausgabe des WWK geben. Der nächste WK, den sie in Händen halten, ist ein echter. step