»This is how it was« Kunst als Geschichtsbuch

■ »Vom Expressionismus zum Widerstand« — die Sammlung Fishman in der Berlinischen Galerie

Es bedarf keiner besonderen Verabredungen mehr, damit Markt und institutionalisierter Kunstbetrieb einander zuarbeiten. Die Fishman Collection erhält auf ihrer Tournee durch die Berlinische Galerie, die Schirn Kunsthalle in Frankfurt, die Kunsthalle Emden, das Jewish Museum in New York und das High Museum of Art in Atlanta für ihre Wertschätzung deutscher Kunst museale Weihen; an einer konkreten Wertsteigerung deutscher Malerei arbeiten zur Zeit Sotheby's, die für Ende Mai ihre erste Berliner Auktion deutscher Kunst vorbereiten. Den Schätzwert einer Berliner Straßenszene von Grosz in Aquarelltechnik geben sie zwischen 55.000 und 75.000 DM an. Daran den Wert der Fishman Collection zu messen, führt in die verwirrende Größenordnung einiger Millionen.

Von den anderen Werten berichtet Katrin Bettina Müller

Vor 10 Jahren begann das amerikanische Sammlerehepaar Janet und Marvin Fishman systematisch nach deutscher Kunst zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit zu suchen. »The art we have collected makes twentieth-century German history more understandable to us«, erklären sie in einem Interview im Katalog zu ihrer Sammlung: »It helps us to comprehend the rise of Hitler and the terrible increase in anti-Semitism. The protest against conditions in Weimar Germany is a constant factor of the works we possess; they show the history and critique the institutions. We did not shy away from unappealing subject matter, as others collectors often do, because this is how it was — the sick, the crippled, the starving, street battles, desperation, angst.«

Vom Fieber der Entdeckung getrieben, legten sie dabei weniger Wert auf die Prominenz der Künstler, wenn ihnen deren Bilder nur unter die Haut gingen. In ihrem eigenen Haus in Milwaukee, umgeben von verhärmten, sonntäglich geputzten Kleinbürgern und bourgeoisen Leichenzügen, von Straßenschlachten und berstenden Kneipenszenen, fühlen sie sich in ein Environement der Weimarer Republik versetzt: »You can't just simply look at them. You get involved with what they say. The works speak to your mind as well as to your eye.«

Der erste Funke der Berührung mit der geschichtsgeladenen Kunst sprang aus den aufgewühlten und aufgekratzten Leinwänden Ludwig Meidners auf die Fishmans über. In einem tosenden Selbstporträt Mein nächtliches Gesicht nutzt er die innerliche Zerrissenheit als schwungvollen Motor seines zackig über die Leinwand fahrenden Pinsels; in einer seiner berühmten apokalyptischen Landschaften von 1913 sprengt eine berstende, bebende Natur die dünne Kruste der Zivilisation ab. Im Besitz dieser Bilder trafen die Fishmans die Entscheidung, ihren damaligen Eklektizismus des Sammelns aufzugeben und die internationale Moderne zugunsten der Konzentration auf deutsche Kunst wieder zu verkaufen. Für manche deutsche Museumsdirektoren, deren Etat oft nicht reicht, um mit den Angeboten von Sammlern zu konkurrieren, wird sich seltsam ausnehmen, daß Marvin Fishman manchmal beinahe entschuldigend betont, wie günstig er Expressionismus und Neue Sachlichkeit angesichts des geringen Interesses in den USA oft erhalten habe. Doch die Akzentverschiebung auf den Expressionismus, der in den achtziger Jahren auch andere amerikanische Sammler und Autoren folgten, geschah nicht zuletzt im Windschatten der Popularisierung der »Neuen Wilden« in den USA.

Ähnliche Sammelinteressen stifteten bald die Bekanntschaft zwischen den Fishmans und der Berlinischen Galerie; doch Kooperation milderte die Situation der Konkurrenz — Leihgaben der Collection Fishman unterstützten die Berlinische Galerie bei ihren Ausstellungen. Hier beginnt nun die Ehrentour Berlin — Frankfurt — Emden der von Amerika nur auf eine kurze Visite nach Deutschland zurückgekehrten Kunst.

Den konkretesten Geschichtsunterricht erteilt in der Sammlung Fishman der Gothaer Zeichner Bruno Voigt, der mit zahlreichen Blättern von 1932/33 neben Meidner am stärksten vertreten ist. Er erwies sich in den dreißiger Jahren als Chronist des Straßenkampfes. Ähnlich wie George Grosz bläht er die Köpfe der herrschenden Klasse zu unförmigen Klumpen auf, denen die Intrigen aus jeder Speckfalte quellen; noch läßt sich die Klassenzugehörigkeit mit Chiffren der Physiognomie und der Körperhaltung karikieren und attackieren. Mit berstenden Häuserfronten und roten Fahnen, mit gesprengtem Stacheldraht und einem Heer von Strichmännchen zieht die Revolution in die Straßen ein, durchkreuzt die bourgeoisen Fleischmassen wie ein Geisterzug. Je härter der Überlebenskampf tobt, desto schneller zerbricht das traditionelle Bildgefüge, zerbissen, zerschossen und zerstochen implodiert der kompositorische Raum. Voigt, der ab 1933 unter politischen Repressalien litt, zog sich auf eine altmeisterliche Landschaftsmalerei zurück. In einem Selbstporträt von 1935 ist nichts mehr von kämpferischer Aufgekratztheit zu spüren; in eleganter neuer Sachlichkeit stilisiert er sich mit Krawatte und Pelzkragen, mit großen Augen und vorstechenden Backenknochen als Typ des vornehmlich auf geistige Nahrung gesetzten, im Grübeln gefangenen Intellektuellen.

Der Sonntagsspaziergang (1922) von Otto Dix könnte Aushängeschild jener Gaststätte »Zur Wolfschlucht« sein, die im Hintergrund des Bildes erkennbar ist. Zwei Felsen, zu getreppten Aussichtsplateaus gezähmt und mit Bilderbuchtannen bestanden, zeigen Natur als arrangierte Spielzeuglandschaft. Aufgereiht, in bemühter Schritthaltung über dem Fußweg schwebend, ahmt die graugesichtig zerknitterte Familie wilhelminische Postkartenidylle nach. Wie hölzerne Puppen durch die Landschaft stelzend, haben sie an ihr kaum Teil. Die bemühte Naivität des Malstils scheint Reflex der Selbstinszenierung der Kleinfamilie; die Unproportionalität der Hände und Köpfe Ausdruck eines aus dem Takt geratenen Körpergefühls.

Ist dies Bild mit den übrigen Zeichnungen und Aquarellen von Otto Dix, die im vertrauten Milieu der Stadt spielen, und mit den Berliner Straßenszenen von George Grosz auch als prominenter Mittelpunkt der Sammlung gehängt, so stehen ihnen die Blätter der weniger bekannten Künstler kaum an Dramatik, Ironie und schmerzlicher Verzeichnung der gesellschaftlichen Randexistenzen nach. Im Friedhof-Bild des Dresdner Malers Pol Cassel (1892 in München geboren, 1945 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gestorben) schlägt die sonntäglich absolvierte Trauerarbeit um in eine groteske Demonstration von Statussymbolen. Als wären ihnen die Köpfe aus lauter Geiz schon eingeschrumpft, wirken die scharfnasigen Profile eines mit Kranz und Muff bewaffneten Ehepaars. In naiver Bilderbuchfröhlichkeit leuchtet das belebte Karree des Friedhofes aus der Düsternis der ihn umgebenden Mauern. Die Wurzeln des Waldes ihm Hintergrund gleichen ausgebleichten Knochen. Auf Cassels Friedhof brüstet sich das Leben mitten in einer erstarrten Szenerie; fast gleicht seine Parodie auf den Ort romantischer Todesverklärung einem Tanz der Vampire.

Georg Kinzer, der noch bis 1961 in Berlin Porträt- und Landschaftsmalerei lehrte, malte eine gedrungene Frau vor dem Spiegel in unbarmherzigem Verismus. Eine feine, den einzelnen Strich nicht preisgebende Ölbildmalerei alter Schule, gilt nun nicht mehr dem Reichtum von Spitzen oder der Raffinesse von Tautropfen, sondern großporiger Haut, fettigen Haarsträhnen und einem armseligen Ambiente. Das Häßliche dient nicht mehr als Mittel der Karikatur, sondern als Bekenntnis der Verpflichtung zur Erfassung der Wirklichkeit.

Der Münchner Maler Josef Scharl, der 1938 in die USA emigrierte, setzte seine Arbeiter, Prostituierten und Hungernden mit breiten Pinselstrichen auf dunkle Hintergründe, die ihre Körper fast wie Erscheinungen leuchten lassen. Sein Suppenesser von 1932 hockt mit aufgerissenem Mund und starren Augen über den Teller gebeugt auf einer Treppenstufe: Suppenessen ist das Ziel seiner ganzen Existenz. Scharl setzt dem Hungrigen in seinem Bildnis ein Monument, das in der gewichtigen und isolierten Heraushebung des Protagonisten an ein Standesporträt des 19. Jahrhunderts erinnert.

In geometrisch abstrakte Farbflächen zerspringt die Straßenszene Nächtlicher Lärm (1919) des Karlsruher Malers Georg Scholz, der 1945 in französischer Kriegsgefangenschaft starb. Ein Schrei aus einem aufgerissenen Mund im Zentrum des Bildes wird synästhetisch in diagonal aus dem Zentrum explodierende Farbfelder umgesetzt.

Vor dem Ehrgeiz, große Namen zu sammeln, zeichnet die Fishman Collection aus, daß sie sich wiederholt um Werke von Malern und Malerinnen bemühten, die als Opfer des deutschen Faschismus umgekommen waren und deren Arbeit kaum Beachtung in der Kunstgeschichte der Nachkriegszeit fand. Ihre Sammlung dokumentiert nicht nur die wichtige Rolle jüdischer Künstler in der Kultur der Weimarer Republik, sondern auch die lang anhaltenden Folgen der Vernichtung und Verdrängung. Exemplarisch sei dafür auf Elfriede Lohse-Wächter hingewiesen: Wenig nur ist von dem Werk der Künstlerin übriggeblieben, die 1933 als geisteskrank interniert und 1940 in einem Konzentrationslager mit Gas ermordet wurde. Von ihr zeigt die Ausstellung zwei Aquarelle von 1930/31, eine Nachtclubszene und Lissy. Lissy schleudert uns mit einem Blick über die Schulter ihre Verachtung und ihren Hunger entgegen. An ihre rotverpackten Kurven schmiegt sich wie ein Geschwür und blaues Gerinsel die kleine Figur eines Caféhausgastes im Hintergrund an. Exhibitionistisch werden selbstzerstörerische Sucht und Lebensgier zur Schau gestellt.

Vom Expressionismus zum Widerstand , Kunst in Deutschland 1909-1936, Die Marvin und Janet Fishman Collection; eine Ausstellung des Milwaukee Art Museum mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Lufthansa. Berlinische Galerie im Martin-Gropius- Bau, Stresemannstraße 110, Berlin 61. Bis 28. April, täglich außer montags 10 bis 22 Uhr.