Ein Gespenst geht um... in China

Oh, ein „rostfreies Schräubchen“ im Geiste des schlichten Soldaten Lei Feng zu sein  ■ Aus Peking Simon Long

Gerade schien es noch so, als ob man sich wieder sicher in den Straßen Pekings bewegen könne, ohne einem Ansturm kruder politischer Propaganda ausgesetzt zu sein — da ist ein trübes Gespenst aus der Zeit der Kulturrevolution zurückgekehrt und spukt in der Stadt herum. Peking befindet sich in den Klauen des Geistes von „Lei Feng“. Zum Gedenken an jenen Tag im Jahre 1963, als der Vorsitzende Mao zum ersten Mal die Parole ausgab: „Lernt von Lei Feng“, dem schlichten, aufopfernden Soldaten, der 1962 jung verstorben war.

Geehrt wird der Geist von Lei Feng durch den „Dienst am Volke“. Soldaten schneiden gratis Lei-Feng- Frisuren und reparieren im Geiste Lei Fengs Radios, Fahrräder und Uhren. Sogar das Gesundheitsministerium hat Stände aufgebaut, an denen Lei-Feng-Aids-Vorsorgetips ausgehändigt werden. Doch jegliche gedankliche Verbindung zwischen Lei Feng und ungeschütztem Sex oder gemeinsam benutzten Spritzen ist ein Sakrileg. Er ist ein offizieller kommunistischer Heiliger. Sein Tagebuch, posthum veröffentlicht, berichtet vom fraglosen Gehorsam gegenüber der Armee und der KP. Ihm war ein langweiliges Leben beschieden, angefüllt mit viel Sockenwaschen und Geschirrspülen für seine Kameraden. Auf Lei Feng geht der unsterbliche Satz zurück, er wolle ein „rostfreies Schräubchen im Dienste der Revolution“ sein. In allen Medien erhalten die Berichte über Lei-Feng-Aktivitäten einen unermeßlich höheren Stellenwert als beispielsweise Nachrichten vom Golf. In der Sprache der amtlichen Nachrichtenagentur 'Xinhua‘: „Lei Feng war beseelt von dem noblen Geist, mit ganzem Herzen für das Volk zu arbeiten, bevor er auf seinem Posten starb.“ Das ist einigermaßen ungenau. Lei Feng starb unter seinem Posten. Er wurde durch einen umstürzenden Telegrafenmast getötet. Seit dem Tode des Vorsitzenden Mao und dem Aufstieg Dengs war das Gedenken an Lei Feng zeitweise in den Hintergrund getreten. Dann, im vergangenen Jahr, kehrte Lei Feng mit Wucht zurück, und es gab eine längere Kampagne im ganzen Land. Diese versandete in den vergangenen Monaten angesichts einer gleichgültigen Bevölkerung und sogar kritisiert von einem hochrangigen Mitglied des Politbüros, dem Vorzeige-„Liberalen“ Li Ruihuan.

In dieser Woche jedoch dämmerte der Bevölkerung die schreckliche Wahrheit, daß die Hardliner der Partei in ihrer nostalgischen Sehnsucht nach den schlichteren Tugenden des Maoismus die Lei-Feng-Kampagne zu einem jährlich wiederkehrenden Ereignis machen wollen. Viele Pekinger sind entsetzt vom Wiederauftauchen Lei Fengs. Sie betrachten ihn bestenfalls als Legende, schlimmstenfalls als Schwachkopf. Und es ist amtlich — Lei Feng war ein Idiot. Die Volkszeitung forderte in dieser Woche zum Studium seines „Holzkopf-Geistes“ auf. Dann würden, so ein Leitartikel, „die Arbeiter besser arbeiten, die Bauern besser anbauen und die Studenten besser studieren“.

Dieses Ideal ist so alt wie China. Konfuzianer meinten, wenn nur jeder täte, was er sollte, dann wäre alles in Ordnung. Mit der Lei-Feng- Kampagne offenbart die KP, die an den Hoffnungen eines Großteils der chinesischen Bevölkerung immer noch vorbeigeht, einen Hauch von Verzweiflung.