„Welche Niederlage, welcher Sieg?“

In Algerien herrschen Wut und Ohnmacht/ Auch die Intellektuellen rücken vom Westen ab  ■ Von Oliver Fahrni

Paris (taz) — Die Saddam-Postkarten sind aus dem Handel verschwunden. Da und dort eine kleine Demo, vor dem Regierungsitz ein Sit-in von 200 Korangelehrten, mehr nicht. Seit Monaten demonstrierten die Algerier quer durchs politische Spektrum gegen die westliche Intervention am Golf, jetzt macht sich, wie auch in Tunis oder Rabat, ein komplexes Gefühl aus Erniedrigung, Wut, Ohnmacht und Erleichterung breit. „Es ist das Ende eines Traumes. Auf die palästinensische Prüfung folgt nun die irakische“, schreibt die unabhängige Zeitung 'El Watan‘. Und die führende Tageszeitung 'El Moudjahid‘ titelt: „Welche Niederlage, welcher Sieg?“, und trifft damit das Gefühl und die Ratlosigkeit vieler.

In den ersten Kriegstagen sahen die Algerier frustriert, wie die französischen Fernsehstationen — die hier alle sehen — ohne Not jedes journalistische Handwerk fahren ließen und sich zu willfährigen Werkzeugen westlicher Propaganda machten. „Nur noch Lüge“ sagt der Buchkäufer. Dann wurden auch die algerischen Medien Opfer der Kriegslage, nur umgekehrt. Ohne verläßliche Quellen verbreiteten sie Schönrednerei, die Hoffnung wurde zur Mutter der Information.

Die Islamische Heilsfront (FIS), stärkste Partei im Lande, die vor Wochen lauthals die Entsendung von algerischen Kriegern an die Seite des Iraks forderte, hält derzeit still. Die Strategie der FIS, den Konflikt angesichts der zaudernden Haltung des Präsidenten Chadli zur innenpolitischen Kraftprobe umzudrehen, kehrte sich gegen sie selbst. Die Algerier erlebten den Krieg als Angriff auf die eigene Identität. Sie verstanden nicht, wieso die Islamisten in dieser Lage Präsident Chadli härter angingen als „die Mächte des Kreuzzuges“. Nach dem Bunker-Massaker von Bagdad hatte die FIS das offiziell ausgerufene „Gebet der Abwesenden“ theologisch für unzulässig erklärt. Dennoch waren die Moscheen voll.

Doch nicht nur die Islamisten unterschätzten, wie tief der amerikanisch-britisch-französische Kreuzzug das Selbstwertgefühl der Maghrebiner verletzte. „Wir haben begriffen“, sagt die Schriftstellerin Nasserea, „daß uns der niedergehende Okzident keine Chance auf einen eigenen Weg läßt. In der barbarischen Ordnung der USA ist kein Platz für uns.“

Der Algerier Tahar Djaout, der dieser Tage in Paris sein neuestes Buch Les Vigiles (Die Wächter) vorstellt, ist bis in die Bügelfalten seines Anzuges ein Freund des Westens. Heute wendet auch er sich ab: „Der Raubzug der USA auf das Schicksal des Planeten ist erschreckend. Die Amerikaner und Europäer verstehen sich nicht mehr nur als Geber der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Karten in der Welt, sondern auch als unbestreitbare Herren des moralischen Feldes. Sie urteilen über wen sie wollen, wie sie wollen, was sie wollen. Sie zwingen die UNO zu Beschlüssen und verletzen diese nach Gutdünken, wo es ihren Interessen dient.“ Und verbittert fügt er hinzu: „In diesen Tagen sind Brückenköpfe zwischen Orient und Okzident, zwischen Norden und Süden zerstört worden, an denen wir Jahrzehnte gebaut haben.“