Menschenkette in Chemnitz

■ Bürger gedachten der Zerstörung ihrer Stadt vor 46 Jahren/ Protest auch gegen Golfkrieg und Steuer

Chemnitz. Mit einer Menschenkette vor dem Chemnitzer Rathaus erinnerten am späten Dienstag nachmittag Einwohner an die Zerstörung der Stadt vor genau 46 Jahren. Sie waren dem Aufruf verschiedener Bürgerinitiativen wie „Regenbogen“ und „Frieden am Golf“ gefolgt und brachten damit gleichzeitig ihr Engagement für den Frieden in der Welt zum Ausdruck. Auf mitgeführten Plakaten war zu lesen „Die am Krieg verdienen, sollen ihn auch bezahlen“, und „Kein Kriegstribut auf Kosten des Volkes“.

Etwa drei Wochen nach dem Inferno von Dresden versank am 5.März 1945 mit Chemnitz eine weitere sächsische Großstadt in Schutt und Asche. Rund zwei Drittel der baulichen Substanz und 4.000 Menschen fielen dem Bombenhagel zum Opfer — die Industrie, die dem „sächsischen Manchester“ sein Gepräge gab, wurde dabei fast völlig zerstört.

Auf der Kundgebung am Dienstag verlas Heike Meichsner, Lehrling in den Chemnitzer Industriewerken und aktiv in der Initiative „Regenbogen“, Worte der Rentnerin Ruth Löffler, die wegen der schrecklichen Erinnerungen an das Inferno vom 5.März selbst nicht sprechen konnte. Ihren ersten Mann hatte Ruth Löffler im Zweiten Weltkrieg verloren. „Ein Krieg hat mit Menschlichkeit nichts zu tun. Solche Anstifter und Ausführenden und gar noch solche, die dafür Waffen und verheerende Vernichtungsinstrumente liefern, gehören vom Volke bestraft“, so die alte Chemnitzerin. Der Zivildienstleistende Marco Süß verdeutlichte mit Versen von Erich Fried und eigenen Worten Parallelen zwischen den Kriegen. „Wir haben wieder einmal einen Krieg überstanden, keinen dritten Weltkrieg mit Millionen Toten, nur einen 44-Tage-Krieg mit vielleicht 100.000 Toten.“ Und er erinnerte an die vielen tot geborenen Kinder in von Kriegen überzogenen Ländern, zu denen nun noch die tot geborenen von Bagdad, Basra und anderen irakischen Städten kommen.

„Die Zerstörung von Chemnitz durch die alliierten Truppen war am 5.März 1945 militärisch bereits völlig sinnlos“, erklärte der Oberbürgermeister der Stadt, Dr. Dieter Noll. Er werde an diesem Tag auch an eigene „Kriegserfahrungen“ erinnert: „Ich war damals zwar ein ganz kleiner Bub, habe aber klare Erinnerungen an Sirenengeheul und kann bis heute keine Sirene hören, ohne an die Bombennächte zu denken.“

Viele Kundgebungsteilnehmer sahen sich anschließend in einem Zelt von „Regenbogen“ Dokumentarfilme über Chemnitz an, die an die alte Stadt und den Aufbau nach 1945 erinnern. Dem Gedenken an den 5.März 1945 gilt ein abendliches Glockenläuten von den Kirchen der Stadt. Am Vormittag hatten Einwohner der Stadt Blumengebinde und Kränze auf dem städtischen Friedhof niedergelegt und der 4.000 Opfer des Angriffes auf Chemnitz gedacht. adn