Zinnerz Altenberg muß schließen

Region der größten Zinnerzlagerstätte Europas droht soziales Notstandsgebiet zu werden  ■ Von Frank Wetzel

Dippoldiswalde. Noch bis Juni vergangenen Jahres sorgte die größte Zinnerzlagerstätte Mitteleuropas dafür, daß monatlich drei bis fünf Millionen DDR-Mark Nettogewinn über das Bergbau- und Hüttenkombinat Freiberg an den DDR-Staatshaushalt abgeführt werden konnten, der Altenberger Zinnerzbetrieb auf dem Osterzgebirgskamm damit also durchaus zu den Reichen gehörte. Kein Wunder, galten in dem vom Weltmarkt abgeschotteten ostdeutschen Staat bis dato doch sogenannte RGW-Festpreise, wonach die Abnehmer für eine Tonne Zinn 110.000 Ostmark zu berappen hatten, obgleich der Weltmarktpreis für Zinn bereits Mitte der achtziger Jahre von 36.000 DM pro Tonne auf 11.000 DM gefallen war. Inzwischen ist er erneut um 3.000 Mark gesunken...

Verständlich also, daß mit dem jetzt grenzenlos geltenden Zinnweltmarktpreis das Ende für den 550jährigen Zinnerzbergbau bei Altenberg und damit in Sachsen überhaupt — in der Ehrenfriedersdorfer Förderstätte ruht bereits seit Oktober vergangenen Jahres die Arbeit — gekommen ist. Dessen sind sich die Beschäftigten der Zinnerz GmbH Altenberg durchaus seit langem bewußt, bestätigt deren Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Schilka. „Und dennoch hatten wir noch bis vor wenigen Tagen die Hoffnung, mittels einer Lehr- und Versuchsanstalt für Bergleute aus der Dritten Welt zumindest einen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten.“

Der vagen Hoffnung folgte dieser Tage die Ernüchterung in Gestalt einer Annullierung des noch im November 1990 signalisierten finanziellen Beistands seitens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dies gehe „eindeutig“ aus einem Schreiben von Minister Carl-Dieter Spranger (CSU) an den Landrat von Dippoldiswalde hervor, meint der Unternehmenschef.

Damit steht unwiderruflich das „Aus“ für den traditionsreichen Zinnerzbergbau im Altenberger Revier fest. Kurz vor Ostern soll hier die letzte Tonne Erz gefördert werden. Zweifel hat der 39jährige Geologe allerdings, ob sich die Treuhand mit dieser Entscheidung der Gefahren eines nicht ordnungsgemäßen „Rückzugs“ aus dem Bergbau für die Stadt und die durch Altenberg führende Transitstrecke E 55 in die CSFR bewußt ist. Immerhin lagerten drei bis vier Millionen Tonnen gesprengten Materials an Erz unterhalb der Stadt, „und es ist nicht auszuschließen, daß es zu unkontrolliertem Bruchverhalten kommt“, gibt Schilka zu bedenken.

Mit dem „Aus“ für die Förderstätte dürfte der seit Jahrhunderten maßgeblich von dieser Branche zehrende Raum Altenberg zugleich auf dem „besten“ Wege zu einem sozialen Notstandsgebiet sein. Zum einen, weil in einem Umkreis von 20 Kilometern kaum neue Arbeitsplätze zu schaffen, zum anderen, weil Bemühungen zur Ansiedlung von Investoren im Zinnerzunternehmen in 800 Metern Höhe bislang weitgehend gescheitert sind. Nach den Worten von Schilka werde sich ab April des Jahres die Zahl der ständigen Kurzarbeiter mit null Stunden von 200 auf 350 erhöhen. Damit würden künftig noch 300 Mitarbeiter Grube und Betrieb aufrechterhalten. adn