„...hat diese ganze Stasigeschichte auch etwas grundtief Komisches“

■ Der Leipziger Studentenpfarrer Vogel, stellvertretender Vorsitzender der „Bruderschaft Sachsens“, schreibt zu dem taz-Bericht über „Kirche in den Armen der Stasi“ in Leipzig (taz 25.2.) LESER-REAKTIONEN ZUM THEMA STAATSSICHERHEIT

Ich möchte mich Ihnen als stellvertretender Vorsitzender der in der taz erwähnten Kirchlichen Bruderschaft Sachsens vorstellen. Leider kann ich aber gar nicht mit vielen eigenen Stasienthüllungen aufwarten. Studium an der KMU Leipzig 1961-66; 1962 Wehrdienst verweigert (Baueinheiten gab es da noch nicht, auch sonst nichts, außer einem „Gespräch“ mit etwas scharfem Ton); bei Frau Wirtin ist irgendwann ein ominöser Mensch einer angeblichen Kirchengemeinde aufgetaucht, um sich nach erpressungsträchtigen Fakten aus meinem Privatleben zu erkundigen (war nicht); im Pfarramt die üblichen kleinen Reibungen; Anfang der 70er Jahre erste Versuche, hier im Bereich Friedensarbeit mitzubegründen (mit Martin Böttger zum Beispiel); 1975 werden Studenten gefeuert, unter anderem weil ich ihnen 1984 geliehen hatte (mit St. Hermlins Hilfe kriegen sie später ihre Abschlüsse); danach besuchen mich zwei Herren des MfS, um mir zu „zeigen, wo der Hammer hängt“; 1976 werde ich von wieder zwei Herren (den einen kannte ich noch) auf der Straße angesprochen und zum Gespräch in eine Kneipe gebeten: Es geht angeblich um Martin Böttgers Solonummer bei der Mai-Demonstration (ich habe das Gespräch dann mit Martin ausgewertet), dann aber um meine, inzwischen zum Beispiel durch die Zeitung dem MfS bekanntgewordenen „progressiven“ Ansichten — man bietet Zusammenarbeit an; da meine Ablehnung vielleicht nicht deutlich genug formuliert war, ruft man mich noch mal an: Ich sage ab; von den „Plaudereien“ mit den „Tschekisten“ mache ich Gedächtnisprotokolle für die Kirche (vielleicht ist es in diesem Zusammenhang nicht unwichtig zu wissen, daß ich Studentenrauswurf und Stasibesuch 1975 damals im Dresdener Landeskirchenamt einem aufstrebenden jungen Beamten persönlich mit der Bitte um kirchenamtliche Intervention vortrug, dessen Vorgesetzter nach — ich glaube: Monaten — von dem Fall noch gar nichts gehört haben wollte — was ich ihm glaube; der junge Mann ist heute Justizminister). Damit ist die Firma wissentlich aus meinem Umfeld verschwunden gewesen.

In den 70er Jahren bin ich zur Kirchlichen Bruderschaft gestoßen. Das hängt sicher mit dem Politisierungsschub im Gefolge der Studentenbewegung zusammen, dem Vietnamkrieg, dem Pinochet-Putsch. Ich habe die Bruderschaft als Möglichkeit gesehen, für eine Kirche zu arbeiten, die ihre schwarz-braune Erblast überwindet, sich für eine sozialistische Politik engagiert, gegen Imperialismus und Faschismus. Ich wollte den christlich-marxistischen Dialog. Dabei hatte ich natürlich meine eigenen Vorstellungen von Sozialismus, habe die Widersprüche deutlich gesehen und meine Bemühungen als Versuch, unsere Gesellschaft und die Welt insgesamt mit ändern zu helfen, verstanden.

Daß ich die Stasi losgeworden sei, war natürlich eine Illusion. Den Anwerbeversuch 1987 würde ich heute eher als „gezielte Dekonspiration“ interpretieren. Denn im Dezember 1989 vertraute mir „ein sich auflösender“ MfS-Offizieller an, daß er zwar mit der Pflege meiner Akte wegen staatsfeindlicher Tätigkeit befaßt gewesen sei, aber nicht ausschließe, daß aus früheren Jahren auch eine Akte als Informant existiere. Das hat mich zwar verwundert, doch inzwischen weiß ich, daß ein erheblicher Teil jener Staatsfunktionäre für Kirchenfragen, mit denen ich gelegentlich sprach, und ich weiß nicht, welche marxistischen „Gesprächspartner“ im Haupt- und Nebenamt Oibe waren.

Da ich aber auch gegenüber diesen staatlichen Kirchenfunktionären schon lange den Eindruck hatte, daß unser „Dialog“ nichts ausrichtet, daß auch die als Möglichkeiten demokratischer Mitarbeit angebotenen Arbeitsgruppen Christliche Kreise der Nationalen Front nur den Zweck einer gewissen Gruppentherapie hatten, habe ich mich daraus zurückgezogen.

Nicht hingegen aus der Bruderschaft. So hatte ich das Vergnügen, einerseits leitendes Mitglied einer Gruppierung zu sein, in die Mielke noch große Erwartungen setzte (so groß wohl auch wieder nicht, denn wie sollte man sich sonst erklären, daß da offenbar kurz vor Torschluß noch ein Herr in unsere Reihen eingeschleust wurde, der offenbar noch retten sollte, was nicht mehr zu retten war?), andererseits hier in Karl-Marx-Stadt (sic!) und darüber hinaus in Friedens-, Gerechtigkeits-, Offener Jugend- sowie Lesben- und Schwulenarbeit (neben ESG und manchen anderen), also dem ganzen „negativ- oppositionellen“ Spektrum aktiv zu sein, mit all den netten Erfahrungen der Postkontrolle, Bespitzelung, vor allem aber der Verunsicherung und Zersetzung. Dabei konnte mich die Stasi mit ihrer schwachsinnigen Freund- Feind-Vorgabe als prosozialistischen Staatsfeind so wenig einordnen wie manch andere auch. Wenn ich mir dann noch überlege, daß ich mit Herrn Dr. Berger, dem Leipziger Menschenrechts-Guru, aneinandergeraten bin, weil mich seine aggressive prowestliche Argumentationsweise störte, dann zeigte auch das wieder, wie verquer alles lief.

In der Bruderschaft habe ich mich zwar nach außen zurückgenommen in den letzten Jahren der DDR, nach innen aber desto intensiver an der inhaltlichen Profilierung gearbeitet, und zweitens im Sinne notwendiger gesellschaftlicher Veränderung.

Wenn dann Mielke uns zur Domestizierung der Kirche benutzen wollte, so wollte ich unsere Möglichkeiten und Beziehungen nutzen, anderes, freies, kritisches Denken — vor allem über unsere Tagungen — in die Öffentlichkeit und auch in die Reihen von Marxisten zu tragen, die wir nach wie vor als unsere Gesprächspartner betrachten: Gegen staatlicherseits vorgebrachte Bedenken trat Otto Ullrich bei uns 1989 auf (im Frühjahr!), Iring Fetschers Einladung für 1990 ließ auch die Alarmsignale aufleuchten, als sie den Genossen 1989 bekannt wurde. Kurzum: Für mich selbst und die Bruderschaft möchte ich in Anspruch nehmen, daß wir in einem reichlich unübersichtlichen Gelände versucht haben, von unserer Grundüberzeugung aus etwas Sinnvolles zu tun. Das wollen wir auch weiterhin. Da sehe ich keinen Grund zur Scham und keinen zur Rücknahme.

Neben allem Üblen und Tragischen hat diese ganze Stasigeschichte auch etwas grundtief Komisches und Albernes. Ich jedenfalls hätte gern noch ein paar Jahre Stasi statt des Golfkrieges; und wenn ich die Koofmichs, Gauner und Idioten erlebe, die heute über uns und das Schicksal von Völkern bestimmen, dann verfliegt alle Erleichterung über das Verschwinden der „Firma“, und ich bin mit manchem ihrer ehemaligen Offiziere verbittert darüber, daß sie einer wirklichen demokratischen und sozialistischen Alternative für unsere Land den Garaus gemacht und denen in die Hände gearbeitet haben, die ich auch nicht wollte. Hans-Jochen Vogel, Studentenpfarrer