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Im Bett der Maid die Flügel verloren

■ Duane Michals-Retro im Fotoforum / „To photograph reality is to photograph nothing“

Treffen sich zwei Herren auf der Straße. Gehen aneinander vorüber. Der eine grübelt, kennt man sich? Viel später dreht sich auch der andere um. - Eine Fotoserie von Duane Michals, dem amerikanischen Fotografen. Eine déjà vu-Situation, deren Darstellung mit dem Einzelbild nicht denkbar ist. Ein Kurzfilm aus dem Alltag. Das Fotoforum Böttcherstraße präsentiert den Künstler in einer vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe übernommenen Retrospektive.

Duane Michals operiert an den Grenzen der Fotografie, ist Kritiker eines naiven Realitätsbegriffs, bildet Wirklichkeit ab, indem er sie erfindet. „There are Things Here not Seen in this Photograph“ lautet programmatisch der Titel der Aufnahme einer leeren Bar.

Die chronologische Hängung der kleinformatigen Arbeiten Michals' im Fotoforum zeigt, welchen Weg der Fotograf in den letzten dreißig Jahren nahm. Geboren 1932 im selben Kaff in Pennsylvania, in dem sein Freund Andy Warhol zur Welt kam, machte Michals seine ersten unprätentiösen Aufnahmen in Rußland. Er kam Anfang der Siebziger (Einzelausstellung im New

Yorker Museum of modern Art) groß raus mit wunderbar sensiblen Porträts Berühmter und Unbekannter. Zu ersteren gehörten Warhol und Duchamp und insbesondere Magritte, mit dessen Sur

hierhin bitte das foto

der beiden nackten Frauen

realismus ihn viel verbindet. Schon die frühen Porträts arbeiten mit der beliebtesten „Verfremdung“ Michals', der Doppelbelichtung.

Zugleich begann er mit seinen

Serien: „Die meisten Fotografen sind Reporter. Ich bin ein Kurzgeschichten-Erzähler“, pointiert er seine Arbeit. Indem er die Kunstgeschichte, mittelalterliche Buchillustrationen oder bekannte Klischees zitiert, inszeniert der homophile Michals Geschichten um schöne Jünglinge und entrückte Damen. Häufig geht es um geheimnisvolle, mit Schuld und Angst befrachtete sexuelle Begegnungen. Wie beim „Fallen Angel“, wenn ein geflügeltes Mannsbild mit segnender Hand über eine Maid herfällt und dabei seine Flügel verliert.

Ab Mitte der Siebziger werden die Bildunterschriften länger, überhöhen das Visuelle mit blühender philosophischer Imagination, bis zuletzt das Foto ganz verschwindet. (“To photograph reality is to photograph nothing“.)

Wie Buchillustrationen wirken seine neuen, fast kindgerechten Arbeiten, um die Forum-Chef Wolfgang Stemmer die Hamburger Ausstellung erweiterte und die leider im ansonsten ausgezeichneten Katalog nicht aufgenommen werden konnten. Z.B. „Baby Dreamt a Robin (=Drossel) was his Mother“: Ein Baby (Foto) liegt in einem Nest, das ein Vogel bewacht (Grafik). Dazu (Text) ein Lamento darum, daß der Kleine, wenn er aufwacht, feststellen muß, daß er nie wird fliegen können.

Die Ausstellung zeigt auch einen Irrweg des Grenzüberschreiters. 1978 fing er an, in Fotos bunt hineinzumalen. Die Farbe allerdings liegt wie fremd auf den Bildern, Zeugnisse eines Versuchs, den Michals nicht weiter verfolgte. Burkhard Straßmann

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