Respektabler Waffenmarkt

■ Europas Rolle in der neuen US-Weltordnung EUROFACETTE

Vor einem Jahr schien es, als ob sich weltweit ein Konsens entwickelt hätte: Militärische Macht ist weniger wichtig als wirtschaftliche Macht. Denn auf der einen Seite waren die Supermächte in einem traurigen Zustand. Die Sowjetunion fiel auseinander. Die USA blieben zwar die stärkste Militärmacht, allerdings zum Preis einer ungeheuren Staatsverschuldung, reduzierter Sozialfürsorge und vernachlässigter Städte.

Auf der anderen Seite florierten Deutschland und Japan ohne die Krücke der Pentagon-Aufträge, auf die sich die US-Industrie stützt. Ihr wirtschaftlicher Erfolg diente als Beispiel, daß der Kapitalismus Militärsubventionen nicht nötig hat. Als der Kalte Krieg zu Ende ging, schien der Weg frei für eine neue Ära weltweiter Abrüstung und die Konzentration der dadurch freiwerdenden Ressourcen auf die Bedürfnisse der Menschen und der Umwelt. In diesem neuen Zeitalter wirtschaftlichem Übergewichts über militärischer Macht schien die Europäische Gemeinschaft ein bedeutendes Zentrum zu werden, dem die Sowjetunion bereits huldigte.

Mit Hilfe des Golfkriegs ist es dem militärindustriellen Komplex der USA in einer machtvollen Demonstration der Stärke gelungen, diesen Trend umzukehren. Im Sommer 1990 hatten die mächtigen USA und der kleine Irak zwei Dinge gemeinsam: Beide waren bis über ihre Ohren verschuldet. Und beide konzentrierten sich auf den Aufbau ihres Militärapparates. Iraks Versuch, sein Schuldenproblem mit Hilfe seiner Militärmacht durch die Besetzung Kuwaits zu lösen, war ein Fehler, der es den USA erlaubte, genau dasselbe zu machen — nur mit großem Erfolg.

Die erste Reaktion der Weltgemeinschaft auf Iraks Aggression folgte noch dem neu gefundenen Konsens: Wenn ihnen erlaubt worden wäre zu greifen, hätten die Sanktionen den Trend verstärkt, militärische Macht zu unterminieren. Die US-Regierung transformierte jedoch die Sanktionsperiode in eine Pause, die sie benötigte, um ihre Truppen in Stellung zu bringen. Die UN-Resolution 678 machte wirtschaftliche Sanktionen hinfällig.

Mit dem Golfkrieg ist der Krieg als legitime Methode rehabilitiert worden, die internationale Rechtsordnung durchzusetzen. Die USA haben es geschafft, einen Krieg zu führen, den sie sich nicht leisten konnten, in dem sie andere für ihn bezahlen ließen. Jetzt kassieren die USA den größten Teil der Gewinne dieses Krieges, der ihre Kontrolle über die Weltölproduktion vergrößert hat. Außerdem leitet der Golfkrieg eine neue Phase des Petrodollar-Recycling ein. Bei der letzten, 1973, vervierfachte sich der Preis für Erdöl. Ein beträchtlicher Teil westlicher Gelder floß nun in die ölproduzierenden Länder. Eine der besten Möglichkeiten, einen Teil dieser Gelder wieder zurückzubekommen, sahen die Regierungen in Europa und den USA im Verkauf der teuersten Waffen aus ihrem Inventar. Die extensiven Petrodollar-Beihilfen für westliche Industrien halfen der eigenen technologischen Entwicklung und wirkten sich positiv auf die Handelsbilanz aus. Der perfekte Ausdruck dieses Petrodollar-Recycling war der Iran-Irak-Krieg, der ungeheuer viel militärische Ausrüstungsgüter aller Art verschlang. Diese Phase neigte sich schon vor dem Golfkrieg ihrem Ende zu. Irak konnte weder seine Schulden bezahlen, die es wegen der Waffenkäufe angehäuft hatte, noch neue Militärprodukte kaufen. Dies war vor allem für die französische Rüstungsindustrie ein schwerer Schlag.

Der Golfkrieg schuf einen Konsens zwischen der US-Regierung und den westlichen Friedensbewegungen über die Notwendigkeit, den Verkauf von Waffen und Militärtechnologie in den Mittleren Osten einzustellen. Waffenverkäufe in den mittleren Osten werden jedoch kaum aufhören, allerdings werden sie eine weniger wichtige Rolle beim Rückfluß der Petrodollars spielen. Denn der Wiederaufbau von Kuwait dient als Startschuß für eine neue Phase der Rückführung der Petrodollars — in mehr ziviler Form. Die ersten großen Verträge gingen an die US-Army und Bechtel, die riesige kalifornische Baufirma, die die geschäftliche Heimat der Topleute in Reagans Regierung war — Verteidigungsminister Weinberger und Außenminister Shultz. Die Koalitionspartner der USA während des Krieges, Großbritannien und Frankreich, hoffen währenddessen auf ein paar Krümel (der französische Schlumberger-Konzern, eine wesentliche Stütze Mitterrands, ist darauf spezialisiert, Ölanlagen wieder aufzubauen).

Die eigentliche Aufgabe Europas wird es jedoch in dieser US- dominierten „neuen internationalen Ordnung“ sein, den mittleren Osten als politisch respektablen Waffenmarkt abzulösen. Im Kielwasser des Golfkriegs sind Bemühungen im Gange, den „europäischen Pfeiler der Nato“ auszubauen. Die WEU wird dabei vielleicht als „Brücke“ zur EG dienen. Auf jeden Fall soll dieser Pfeiler mit Truppen ausgestattet werden, um golfähnliche Interventionen durchführen zu können. Die Europäer müßten entweder bei dem militärisch-industriellen Komplex der USA einkaufen oder etwas vergleichbares selbst aufbauen. Selbst wenn dies nicht zu einem regelrechten Rüstungswettlauf mit den USA führt, würde es jedoch Europas Möglichkeit einengen, an einem alternativen sozialen und ökologischen Modell wirtschaftlicher Entwicklung zu arbeiten. Statt dessen wären die Europäer auf demselben Kollisionskurs mit dem armen Süden wie die US-Amerikaner. Nachdem die Europäer wochenlang dem Krieg durch die US-amerikanischen Augen von CNN zugeschaut haben, ist es jetzt an der Zeit zu entscheiden, durch welche Brille sie in Zukunft sehen wollen. Diana Johnstone

Diana Johnstone ist ehemalige Europakorrespondentin der US-Wochenzeitung 'In these times‘ und jetzige Pressesprecherin der Grünen im Europaparlament.