Nach dem Golfkrieg: Neuer Tourismusboom in Spanien?

Seit 1989 nimmt das Wirtschaftswachstum auf der iberischen Halbinsel wieder ab/ Der Rückgang des Fremdenverkehrs beschleunigt die Rezession  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Alle paar Tage, pünktlich um drei zur Mittagessenszeit, klingelt bei Ricardo das Telefon. Am Apparat ist eine junge Dame vom Kaufhaus „El Corte Ingles“, die Ricardo daran erinnert, daß er die beiden letzten Raten für das Videogerät noch schuldig ist. Er verspricht freundlich, die Zahlung alsbald zu tätigen, um, sobald sie aufgehängt hat, höhnisch zu knurren: „Da kannst du lange warten, blöde Ziege.“

Das Videogerät hat Ricardo vor gut einem Jahr gekauft — auf Raten, versteht sich. Daß er durch diese Zahlungsart die Hälfte mehr auf den Tisch des „Corte Ingles“ legen muß, war ihm damals gleichgültig, denn er hatte Arbeit, und 120 Mark pro Monat waren ein Klacks. Doch seit einem halben Jahr steht Ricardo auf dem Schlauch: Seine Arbeit hat er verloren, Arbeitslosengeld kriegt er auch keines mehr, und sämtliche Freunde wurden ebenfalls schon angepumpt. Daß unter diesen Umständen die Zahlung an das „Corte Ingles“ ausfällt, findet Ricardo völlig selbstverständlich.

Ebenso wie Concepción. Vor Jahren hat sie als Eignerin einer kleinen Firma einen Bankkredit aufgenommen. Inzwischen ist die Firma pleitegegangen, und Concepción verdient als Sekretärin nurmehr 1.200 Mark im Monat. Daß sie davon auch noch einen Kredit zurückzahlen soll, sieht sie gar nicht ein.

Zur großen Betrübnis der Gläubiger ist in Spanien die Zahl der Ricardos und Concepcións rapide im Wachsen begriffen. Mehr als eine Billion Peseten (15 Milliarden Mark) Außenstände haben Banken und Kreditinstitute zu verzeichnen, seit es mit der Wirtschaft langsam, aber stetig bergab geht. Als das Wirtschaftswachstum 1986 — dem Jahr des EG- Beitritts — erstmals auf über drei Prozent geklettert war und 1987 sogar vier Prozent überschritt, war bei den Spaniern ein heftiger Konsumrausch ausgebrochen, der sich vor allem in unkontrollierten Ratenkäufen und Kreditaufnahmen äußerte. Daß für die Kredite oft zwanzig Prozent Zinsen bezahlt werden mußten, wirkte nicht weiter bremsend.

Doch das Wirtschaftswachstum erwies sich als Strohfeuer: Es basierte zum einen auf großzügigen Zuwendungen seitens der EG, zum anderen auf dem Zufluß ausländischen Kapitals ins Land. Das EG-Geld schaffte nicht nur Arbeitsplätze — etwa im Straßenbau — sondern trug auch als Investitionen zur Erhöhung der Produktivität bei. Doch als Hilfe zur Umstrukturierung von Industrien machte es andererseits auch Arbeitsplätze überflüssig.

Die EG-Quotenregelungen tun ein übriges. So muß die Stahlindustrie auf Weisung der EG nun zum zweiten Mal seit 1984 Arbeiter entlassen. Die Beteiligung ausländischer Firmen an der Grundstücksspekulation trieb die Bodenpreise auf europäische Höhe, und das Vordringen von Multis auf den Markt brachte die kleinen Unternehmen, die das Bild der spanischen Wirtschaft prägten, in Existenznot.

Seit 1989 zeichnet sich ein Ende des Booms ab. 1990 betrug das Wirtschaftswachstum nur noch 3,7 Prozent, für dieses Jahr werden nur noch maximal 2,9 Prozent erwartet. Einen nicht unbeträchtlichen Anteil an dieser Veränderung hat der Tourismus, der immerhin 13 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung beschäftigt und einen wichtigen Faktor für die chronisch defizitäre Außenhandelsbilanz darstellt. In den beiden letzten Jahren war die Zahl der TouristInnen bereits merklich zurückgegangen, doch seit Beginn der Golfkrise im vergangenen August reduzierte sie sich um weitere zehn bis 15 Prozent.

Der Rückgang des Wirtschaftswachstums machte sich vor allem auf dem Arbeitsmarkt schmerzlich bemerkbar. Zwar ist in den vergangenen Jahren die Arbeitslosenrate von über 20 auf momentan 16 Prozent gedrückt worden, doch mit fragwürdigen Maßnahmen: 1984 wurde per Gesetz die Möglichkeit von zeitlich befristeten Arbeitsverträgen erheblich ausgedehnt. Nach Angaben der Linksunion „Izquierda Unida“ sind 90 Prozent der in den letzten Jahren abgeschlossenen Verträge Zeitverträge, und sie betreffen inzwischen fast jeden dritten Arbeitnehmer. (EG-Vergleich: neun Prozent).

In Krisenzeiten ist es für UnternehmerInnen also ein Leichtes, Arbeitnehmer auf Zeit wieder loszuwerden — und tatsächlich ist die Zahl der Arbeitslosen seit Beginn der Golfkrise wieder leicht gestiegen.

Mäßigung bei Lohnerhöhungen fordert seit Jahren die spanische Regierung von den Gewerkschaften, da übermäßige Lohnerhöhungen die Inflation anheizten. Doch trotz aller Mäßigung war die Inflationsrate 1990 mit 6,9 Prozent die zweithöchste der EG (nach Großbritannien). Zwar sieht ein Großteil der in der letzten Zeit abgeschlossenen Arbeitsverträge eine automatische Lohnangleichung um die Inflationsrate vor, doch ebenso automatisch steigen die Mieten. Öffentliche Dienstleistungen gleichen sich zunehmend — wenn schon nicht im Service, dann doch zumindest im Preis — den anderen EG-Ländern an, und die Lebensmittelpreise haben sich noch nicht von den Streiks der LKW- Fahrer im Herbst erholt.

Doch wenn auch das staatliche Statistikinstitut Mitte Februar meldete, die spanischen Familien gäben deutlich weniger aus als in vergangenen Jahren, gibt es einen leisen Hoffnungsschimmer. Das Ende des Golfkriegs, so die Spekulation vieler, könnte die Wirtschaft wieder anheizen. Der Tourismus profitiert von der Angst vieler UrlauberInnen vor dem Nahen Osten und den Maghrebländern und verzeichnet seit dem Ende des Golfkriegs einen Run auf spanische Urlaubsgebiete, besonders die kanarischen Inseln. Stabile Erdölpreise und steigender Unternehmeroptimismus könnten in den nächsten Monaten zu einem neuen Aufschwung führen.

Vielleicht verbessert sich dann auch die finanzielle Situation von Ricardo und Concepción, und sie entgehen dem rosaroten Panther und dem Mann im Frack. In diesen Kostümierungen verfolgen nämlich die Vertreter von Schuldeneintreibungsfirmen säumige ZahlerInnen, sowie sie das Haus verlassen, in nur wenigen Metern Abstand. Damit die Öffentlichkeit versteht, wozu die Aufdringlichkeit dient, tragen der Panther und der Mann im Frack Köfferchen mit weithin sichtbarer Aufschrift: Schuldeneintreibung.