Im Prinzip ungerecht

■ Die Rückerstattungsgarantie des Einigungsvertrags steht gegen jede Vernunft KOMMENTAR

Selten nur sind SPD und Unternehmerverbände einer Meinung; und schon gar nicht, wenn es um eine Frage des Prinzips geht. Der Schutz des privaten Eigentums, im Grundgesetz festgeschrieben, ist ein solches Prinzip zu dem man unterschiedlicher Meinung sein kann. Entsprechend den Buchstaben des Einigungsvertrages hat die Rückgabe von Grund und Boden in der ehemaligen DDR absoluten Vorrang vor einer Entschädigung früherer Eigentümer. Das wurde damals gegen die Widerstände der letzten DDR-Regierung und der Sozialdemokraten von den regierenden Koalitionsparteien — am vehementesten von der FDP — durchgesetzt. Prompt erwies sich genau dieser Passus als größtes Hemmnis für den Wirtschaftsaufbau in den neuen Ländern.

Keine Unternehmerin und kein Unternehmer zeigt Interesse daran, in einen Betrieb zu investieren, der möglicherweise in ein paar Jahren an irgendeine Erbin irgendeines früheren Fabrikbesitzers zurückgegeben werden muß. Oft ist keinesfalls klar, wem eine Fabrik oder ein Grundstück gehört hat, wie im Fall einer (Ost-)Berliner Zigarettenfabrik, die in den 30er Jahren arisiert worden ist. Sowohl die Nachfahren des jüdischen Firmengründers als auch die Erben des von der SED enteigneten Ariers haben Besitzansprüche angemeldet. Bis die Eigentumsfrage geklärt ist, können noch Jahre vergehen — und bis dahin dürfte auch der letzte potentielle Westinvestor sein Geld auf dem Kapitalmarkt verspekuliert haben.

Sicher mag es im Prinzip nur gerecht sein, Immobilien und Grundstücke zurückzugeben. Doch führt die gnadenlose Anwendung des Gerechtigkeitsprinzips im Fall der neuen Länder gradewegs zu neuen Ungerechtigkeiten, statt zu Rechtssicherheit zu Rechtsunsicherheit, statt zu Besitz zum Verlust des Arbeitsplatzes. Die bisherigen Erfahrungen der Treuhand zeigen genau das. Alte Eigentümer, so sie denn schnell aufzufinden sind, haben allzu oft nicht die Mittel, in Arbeitsplätze zu investieren, wie es vielleicht andere Westunternehmen hätten. So bleiben die Betriebe bei der überlasteten Treuhandanstalt, produzieren weiter Produkte, die nicht absetzbar sind, bis die Treuhand die Schließung oder Brutalsanierung einschließlich radikaler Kürzung der Arbeitsplätze verfügt.

So ist das selbst vom CDU-Mann Heiner Geißler kritisierte „ungehemmte und uneingeschränkte“ Eigentumsprinzip auf lange Sicht mit Sicherheit teurer und in seinen gesellschaftlichen Auswirkungen auch gerechter als eine — wie auch immer gesetzlich umrissene Entschädigungsregelung. Das hat inzwischen selbst der Neu-Wirtschaftsexperte Möllemann (FDP) gelernt. Auch an dieser Stelle zeigt sich, daß der Einigungsvertrag das Ergebnis von frommem Bonner Wunschdenken, nicht aber von realistischen Prognosen war. Donata Riedel