piwik no script img

Propaganda und Trauer in Bagdad

Die Propaganda von Hussein beschwört jetzt Normalität/ Schulen werden geöffnet, das Fernsehen funktioniert wieder/ „Wirtschaftswunder“ als Vorbild des Wiederaufbaus/ Trauern um die Gefallenen und Sorge um die noch Vermißten  ■ Aus Bagdad Khalil Abied

In einer Vielzahl von Maßnahmen, Kommentaren und Ansprachen beschwört die Regierung in Bagdad derzeit die Normalisierung des Lebens im Irak. Das Erziehungsministerium erklärte, alle Schulen und Universitäten würden am Samstag wieder eröffnet, das Verkehrsministerium teilte mit, in wenigen Tagen würden alle Buslinien wieder ihren Betrieb aufnehmen, und auch die irakische Fußballmeisterschaft soll fortgesetzt werden. Für das Regime Saddam Husseins geht es dabei darum, zu zeigen, daß es noch stark ist, daß es die Lage unter Kontrolle hat, und vor allem: daß es noch existiert. Doch auch die militärischen Sieger unterstreichen ihre Existenz auf ihre Weise: In den vergangenen Tagen durchbrachen mehrfach US- amerikanische Flugzeuge über Bagdad die Schallmauer. Die Botschaft ist allen in Bagdad klar.

Die Propagandamaschine des Hussein-Regimes ist inzwischen auch weniger darum bemüht, die militärische Niederlage in einen „historischen Sieg“ umzumünzen, sondern konzentriert sich vor allem auf das Thema des Wiederaufbaus. „Wie wir der Verschwörung begegnen konnten, die militärische und ökonomische Kraft des Irak zu zerstören, werden wir auch den Kampf um den Wiederaufbau des Irak gewinnen“, schrieb die Zeitung 'Al-Kassidiya‘. Radio Bagdad verwies gar auf die Vorbilder Deutschland und Japan, deren „Wirtschaftswunder“ nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg ein Beispiel sei für die „Fähigkeit der Völker zur Wiedergeburt“.

Präsident Saddam Hussein befahl der Verwaltung und den öffentlichen Institutionen des Irak, die Bevölkerung so schnell wie möglich wieder mit den wesentlichen Dienstleistungen zu versorgen. Seit dem 3. März sei die Stromverbindung zu den Städten und Provinzen des Landes wieder hergestellt, schrieben Zeitungen in Bagdad.

Diesen Informationen zufolge würden Bagdad und andere Städte jeweils für ein paar Stunden mit Elektrizität versorgt, bis die Kraftwerke und Umspannstationen wieder repariert seien. Ingenieure und Techniker hätten auch mit der Reparatur der Ölraffinerien begonnen, verkündete der Ölminister, in einem Monat könne die Regierung auch wieder Benzin und andere Ölprodukte verteilen.

Das irakische Radio spielt nicht mehr nur nationalistische Lieder oder solche, die die Liebe zu Saddam besingen, sondern inzwischen auch wieder ganz normale Liebeslieder. Seit einigen Tagen funktionert auch die Fernsehstation wieder. In den kommenden Wochen solle ein „buntes“ Programm und Spielfilme gezeigt werden, meldete die Zeitung 'Al Joumhurriah‘.

Derweil pilgern jeden Tag einige Dutzend Frauen aus vielen Teilen der Stadt zum Heiligen Ort des Scheichs Al-Mousawi. An dem Dattelbaum, unter dem der wundertätige Scheich Fische verkauft haben soll, danken die Frauen Al-Mousawi dafür, daß ihre Männer aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Sie bringen Essen mit, das sie an arme Familien verteilen, und zünden Kerzen an. Einige Frauen tragen Fahnen mit einem Handabdruck aus Henna, das sie normalerweise zum Haarefärben benutzen, mit sich.

Normalerweise benutzen die arabischen Frauen Henna zum Haarefärben, bei der Hochzeit auch, um ihre Füße und Hände rötlich zu färben. Der Handabdruck aus Henna auf der Fahne bedeutet so: „Wir haben zu Hause etwas Schönes( wie eine Hochzeit), unsere Männer sind zurückgekehrt.“

Und in vielen Teilen der Stadt sieht man Familien, die Schafe schlachten und Fleisch an die Armen verteilen. Gemäß islamischer Tradition hatten sie dies gelobt, wenn ihre Söhne lebendig zurückkommen.

Andere Familien, die die Meldung vom „Märtyrertod“ ihrer Männer erhalten haben, in tiefer Trauer. Und viele haben auch seit Wochen nichts über den Verbleib ihrer Famililenangehörigen gehört, wissen nicht, ob sie noch bei ihrer Truppe sind, von den Alliierten gefangengenommen wurden oder ob sie bei den Kämpfen getötet wurden. Hier geloben die Frauen, den heiligen Ort des Al-Mousawi zu besuchen, wenn ihre Männer zurückkommen.

Souad, die zwei Brüder im Iran- Krieg verlor, bekam vor fünf Tagen die Leiche eines anderen Bruders ausgehändigt, der an der Front gefallen ist. Zwei weitere Brüder von ihr sind noch an der Front, über ihr Schicksal weiß sie nichts. „Ich werde verrückt, wenn auch meinen verbliebenen Brüdern an der Front was passiert ist“, ruft sie, „Gott hilf uns, es ist genug mit dem Krieg!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen