: Arbeitslosenzuwachs leicht gedämpft
Arbeitslosigkeit in den FNL steigt um knapp 30.000/ Kurzarbeiterregelung schönt weiter die Statistik/ Bundesanstalt für Arbeit wagt keine mittelfristige Prognose ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
„Arbeitslosigkeit ist zunächst kein Zustand, sondern ein Vorgang.“ Solch tröstende Worte hatte Heinrich Franke, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, bei seiner Monatspressekonferenz für die Arbeitslosen in den fünf neuen Bundesländern parat. Daß „Vorgänge“ leicht zu „Zugängen“ werden, beweisen die stetig steigenden Zugänge in der Arbeitslosenstatistik der Ex- DDR. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im Februar gegenüber dem Vormonat um 29.800. Damit sind dort derzeit 787.000 Menschen arbeitslos, die Arbeitslosenquote liegt jetzt bei 8,9 Prozent. Im Westen blieb die Quote konstant bei 7,0 Prozent. Den relativ geringen Zuwachs im Osten gegenüber den Vormonaten führte Franke auf „institutionelle Regelungen“ zurück. Da Beschäftigungsverhältnisse in der Regel am Quartalsende, also erst wieder Ende März, auslaufen, warnte der BfA- Präsident davor, aus der relativ günstigen Februarentwicklung falsche Schlüsse zu ziehen.
Die Zahl der Kurzarbeiter hat sich von Januar auf Februar kräftig um 63.000 auf 1,9 Millionen erhöht. Nicht nur die Zahl, sondern auch die Dauer und das Ausmaß des Arbeitsausfalls ist deutlich gestiegen. So betrug der durchschnittliche Arbeitsausfall im Februar 55 Prozent gegenüber 52 Prozent im Januar. Franke gab zu, daß hinter der Kurzarbeit „meist nicht nur vorübergehender Nachfrageausfall“ stehe. Wie Kurzarbeit die Arbeitslosigkeit speist, zeigt das Beispiel Sachsen-Anhalts. Dort nahm die Kurzarbeit mit 1,5 Prozent nennenswert ab, zugleich stieg die Arbeitslosigkeit dort am stärksten. Spitzenreiter bei den Arbeitslosenquoten in der Ex-DDR ist Mecklenburg-Vorpommern mit 11,3 Prozent, gefolgt von Ost-Berlin (10,4), Thüringen (9,0), Brandenburg (8,8), Sachsen-Anhalt (8,6) und Sachsen (7,8).
Die Arbeitslosenzahlen im Osten wären weit höher, würden nicht täglich zwischen 200.000 und 300.000 Pendler und monatlich etwa 15.000 Abwanderungen in den Westen sowie Vorruhestandsregelungen den Arbeitsmarkt entlasten. Im Jahresdurchschnitt rechnet Franke für die Ex-DDR mit 1,4 Millionen Arbeitslosen. Das bedeutet: Er geht von einer rasanten Steigerung aus. Eine Prognose über die Zahlen am Jahresende wagt er jedoch nicht. „Warten wir erst einmal den 31. Juni ab“, lautete seine Devise. Dann läuft die Kurzarbeiterregelung zu den alten Konditionen aus, die neuen Konditionen sind derzeit noch in Diskussion. Dann stehen Quartalskündigungen an, und die Arbeiter des öffentlichen Dienstes, die sich derzeit noch in der sogenannten „Warteschleife“ befinden, stehen auf der Straße. Schätzungen gehen von bis zu 700.000 Betroffenen aus.
Doch neben Schatten gibt es auch Licht, betonte Franke. Tagtäglich würden in der Ex-DDR neue Arbeitsplätze geschaffen. Im Laufe des Jahres 1990 seien im Osten eine Million neue Beschäftigungsverhältnisse, darunter etwa 500.000 neue Arbeitsplätze, entstanden. Seine Hoffnungen setzt der BfA-Präsident jetzt auf das Sonderprogramm der Bundesregierung. Damit dies auch schnell umgesetzt werden könne, mahnte Franke eine stärkere Förderung der Kommunen an. Eindringlich appellierte er an Wirtschaft, Politik und Tarifpartner, gemeinsam zu verhindern, daß „die Strukturprobleme von heute zu Dauerarbeitslosigkeit führen und dadurch die Strukturprobleme von morgen schaffen“. Er forderte die Arbeitslosen zu mehr Mobilität auf. Sie dürften sich vom Eintritt der Arbeitslosigkeit „nicht lähmen lassen“. Arbeitslos zu werden, sei „kein Verhängnis und keine Schande“. Das Risiko, in einer Marktwirtschaft arbeitslos zu werden, könnte „praktisch niemandem völlig abgenommen werden“.
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