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Sozialistischer Frauentag — in memoriam

■ Kleine Umfrage zum 8. März bei ÜbersiedlerInnen im Wohnheim

“Das ist doch der einzigste Tag, wo wir hochgehalten werden“, Marianne K. (38) lehnt sich in ihrem Sessel zurück. „Große Feiertage halten wir alle ein“, beteuert Ehemann Axel (39). Er hatte den Frauentag auch im vergangenen Jahr, ihrem ersten in der BRD, nicht vergessen. Auch heute wird Axel K. den Tisch decken: Blumenstrauß, Kerze, Kuchen — obwohl im Übergangswohnheim und in der Nachbarschaft sonst alles so sein wird wie jeden Tag. Keine Reden, keine öffentlichen Feierstunden, keine Kaffeetafeln in Betrieben, wie es Zuhause in der DDR üblich war. Die anderen Frauen in den vor 15 Monaten provisorisch bezogenen Kasernen-Zimmern in der Peenemünderstraße gucken überrascht hinter sich, wenn sie nach dem Internationalen Frauentag am 8. März gefragt werden — als ob sie sich auf dem nicht vorhandenen Kalender an der Wand das Datum vergegenwärtigen wollen. „Ist es wieder soweit?“ fragt auch Angelika D. (25), vor 16 Monaten aus der DDR übergesiedelt. „Ich hab da noch keine Ordnung drin“, sagt sie und meint, daß sie die bundesdeutschen Feiertage noch nicht kennt.

Marion W., 34jährige Mutter von drei Kindern, war in der DDR Facharbeiterin im Zierpflanzenbau: Anfangs in den Tulpen (“da mußte man auch am Wochenende zum Gießen hin“), später bei den Cyclaben (“Alpenveilchen, das hieß auch immer, sonntags raus. Und die Männer mußten im Haushalt helfen.“) Ihr Betrieb sei ein reiner Frauenbetrieb gewesen. Der Chef habe sich immer etwas einfallen lassen zum Frauentag - zuletzt einen Cognac-Schwenker mit Pralinen gefüllt und Schleife dran. Dann betonte der Chef die großen Leistungen, die die Frauen vollbringen: „Eine richtige Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit der Frau. Ohne uns ging nichts.“

Nur Wolle Sch., Schweißer unter 1.000 Männern und drei Frauen, will jetzt mal loswerden, „wie's wirklich war“: Die Frauen sind morgens in aller Frühe zu den Kinderkrippen geradelt, denn in einer sei selten für alle zwei, drei Kinder Platz gewesen. Dann hat sie sich an den verrotteten Maschinen im Betrieb abgerackert. Abends wieder Kinder holen, heim. Da wollte der Mann schon sein Essen haben, nachher vielleicht noch was anderes von ihr. Und wenn sich dann nichts abspielte, dann hieß es am nächsten Tag wieder: „Ja, meine Alte... So war's doch, oder?“ Die Kumpels im Übergangswohnheim nicken. Ob er, Wolle, den Frauentag denn gewürdigt habe? „Ich hab meiner Frau erklärt: 'Mäuschen, ich bin mit dir sehr zufrieden.' Mehr geht doch nicht, oder?“ ra

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