Der alte Mann und die Liebe

■ Bremer Fassung der „Lustigen Weiber von Windsor“ / Volles Haus und Begeisterung

Der abgetakelte Falstaff und seine mit ihm in die Bettücher des Lotterbetts verwickelten Saufkumpane gröhlen Gassenhauer. Ein Kontrahent, bestückt mit allen Insignien des saublöden, eingebildeten Spießers, verlangt vom Diebsgesindel die Geldbörse zurück: Klamauk, nimm deinen Lauf? Es geht ums Geld — auch um die Liebe. Es geht um scharfsinnige, ungewöhnlich entschlossene Frauen, deren Triumph von vornherein feststeht. Um Sexualität und männliche Wahnvorstellungen; um ganz gemeine und sehr verdiente; und schließlich noch um Mitleid und eine Art untergeordneten Triumph... Daß die „Lustigen Weiber“ in Nachschlagewerken so schlecht wegkommen, mag an der Dominanz der Frauenrollen liegen — und wohl auch an dem etwas läppisch- versöhnlichen Schluß.

Die Falle eindimensionaler Spaßigkeit umspielt die Company souverän. Durch Kürzungen und Zutaten zum Original gelingt es, das Stück auf ein Niveau zu heben, das den Schluß nahelegt: Der sicherste Platz für die Dämonen ist in der Komödie. Daß es das rechte Stück zur rechten Zeit geworden ist, liegt auch an der Regie (Pit Holzwarth) und Schauspielkunst, die den Strang vitaler Komik genüßlich ausagiert und trotzdem auf sensible Ambivalenzen nicht verzichtet.

Mit beinah allen Personen läßt sich noch Mitleid empfinden; allen voran mit dem alten Sir John (Norbert Kentrup) und seiner Selbstverliebtheit in massive körperliche Charakteristika, zu denen der gerade noch verhüllte Ansatz seiner mächtigen Poritze gehört. Die Frauen dagegen bleiben gutbekleidet und brauchen unser Mitleid nicht — doch lassen sie Andeutungen von Irritation durch

v.l.n.r.: Thomas Sarbacher (Margaret Page), Norbert Kentrup (Sir John Falstaff), Renato Grünig (Quickly), Erik Roßbander (Anne Page), Christian Dieterle (Alice Fluth)Foto: B. Emde

Sir John's Liebeserklärungen erkennen — von denen er, entgegen seiner Absicht, immer wieder selbst hingerissen wird.

Weil gar keine Frauen auftreten, bleibt der Company-Feminismus unschlagbar. Die Travestie ist zu glauben, ohne daß die Männer kieksen müssen. Frau Fluth (Christian Dieterle), in jeder Geste weiblich und hingebungsvoll. Die sprödere Frau Page (Thomas Sarbacher), trotz Pelzboa weniger kokett, im guten Kontrast zur Freundin. Darum hat ihr bajuwarischer Mann (derselbe Thomas Sarbacher) auch keine Probleme mit der Eifersucht.

Herausragend das zweite neue Company-Mitglied Erik Roßbander als glatter Bankier mit der

hier gitte die

fünf merkweürdigen gestalten

brodelnden Obsession der Eifersucht, als vampyrhafter Herr Bach und noch als zarte Kleine die von zwei Heiratskandidaten umworben wird.

Überhaupt die Virtuosität der Mehrfachrollen: Gleich zu Anfang ein Wechsel, der nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Renato Grünig, eben noch altersklappriger süddeutschelnder Pfarrer und nur eine Sekunde später als vollbusige Frau Quickly in Kölsch näselnd.

Einige Mäkeleien am Rande: Falstaffs dickschöne Mannsgestalt hätte die Kennzeichnung „Luxuskörper“ nicht gebraucht. Und wie wäre es gelegentlich mit dem Wagnis eines Bühnenbildes, statt beständig wallender Tücher? Wiewohl das Großkampfauto der

treibjagenden Bürger sowie das verschlungenste aller Hirschgeweihe des zum dritten Mal verhohnepiepelten Falstaff Bühnenbildqualität erreicht. Aber warum muß Herr Page von seinem Lieblingsbewerber um die Hand der Tochter noch all den Mummenschanz im nächtlichen Park mit Codewort zwecks Verheiratung verlangen? Das machte im Urtext Sinn, damit sich Mutters und Vaters Wunschkandidaten gegenseitig austricksten. In der Neubearbeitung macht es keinen. Auch so kriegt Töchterlein ihren inzwischen gut küssenden, sympathisch schwindsüchtigen Edelmann.

Das Gerede von der Krise scheint bei der Company überwunden. Die beiden neuen Schauspieler tun ihr übriges. Vielleicht ist es nicht unproduktiv, beizeiten auseinanderzugehen?

Zum Schluß triumphieren nicht nur die Damen über ihre puritanischen Ehemänner (samt ihrer Männer-Phantasien) sondern es gibt noch diesen Nebentriumph des so vielfach gedemütigten Jonny Falstaff. Er zieht von dannen mit der Selbstversicherung: „Geh deinen Weg, alter John!“ Und gibt den anderen — in der Bremer Fassung - zu bedenken: Ich bin doch eure ganze Lust und Phantasie. Wenn ich nicht wär', wär' hier nur Tod und Langeweile.

Und gleich kriegen sich die feinen Leute nach seinem Abgang wieder in die Wolle. Konstanze Radziwill