Trotz Behinderung zur Regelschule

■ Persönliche Assistenten helfen in Schulen, motorische Defizite auszugleichen

„Ich ersetze Daniel die Beine, ich hole ihm seine Hefte aus der Tasche, helfe ihm beim Umgang mit dem Lineal im Mathe-Unterricht“, beschreibt Angelika Hartwig den Job, den sie im August zum laufenden Schuljahr übernommen hat. Angelika Hartwig ist für Daniel und Tanja, zwei Kinder mit körperlichen Behinderungen, „persönliche Assistentin“. Dank ihrer Hilfe können die beiden Kinder, die beide RollstuhlfahrerInnen sind, zu Hause in ihrem Stadtteil mit den Kindern, die sie auf dem Spielplatz und in ihrer Nachbarschaft treffen, die ganz normale Regelschule in der Stichnathstraße besuchen. Insgesamt sechs Mitarbeiterinnen betreuen auf ähnliche Weise derzeit acht körperbehinderte Kinder in fünf Bremer Schulen.

Je nach den individuellen Bedürfnissen der SchülerInnen sind die persönlichen Assisstentinnen mit stundenweisen Verträgen ausgestattet. Angestellt sind sie jedoch nicht beim Bildungssenator, sondern beim Martinsclub e.V., einer Elterninitiative, die sich bisher vorwiegend um geistig Behinderte kümmerte. „Für uns ist das Projekt nur ein Anfang, Behinderte zu integrieren. Die Akzeptanz von Behinderten ist über Rollstuhlfahrer zu erreichen. Dieser Weg könnte uns aber in zehn, zwanzig Jahren ganz von den Sonderschulen wegbringen“, erläuterte Hannelore Stöver, Vorstandsfrau im Martinsclub e.V. und Leiterin der Behinderten-Werkstätten „Martinshof“, dessen Motivation, sich als freier Träger in das Bremer Modellprojekt einzuklinken.

Der Martinsclub hat die Erzieherinnen und arbeitslosen Lehrerinnen vom freien Arbeitsmarkt weg engagiert. Bezahlt werden sie, in Anlehnung an Beamtentarife, über die Sozialhilfe — über den individuellen Anspruch auf Eingliederung nach Bundessozialhilfegesetz. 200.000 Mark hat die Sozialbehörde 1991 dafür bereitgestellt.

Die Schulaufsichtsbehörde rechnet damit, daß auch im nächsten Schuljahr sechs bis zehn behinderte Kinder mit Hilfe von persönlichen Assistenten eine normale Schule besuchen können. „Ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit darf nicht eingeschränkt sein. Ihre Assistenz muß auf motorische Hilfen beschränkt bleiben“, erläutert Schulrat Wenzel die Bedingungen, die vom schulärztlichen Dienst jeweils gutachterlich überprüft werden. Die Ärzte müssen dem Kind „Regelschulfähigkeit“ bescheinigen. Hätte es sonderpädagogische Förderung nötig, bliebe ihm wie bisher nur die Sonderschule.

Bisher mußten alle Kinder mit körperlichen Behinderungen dann auch in entsprechende Sonderschulen. Integrationskonzepte endeten nach Kindergarten- und Hortzeit am Schultor. Erst nachdem die Eltern des behinderten Torben Zimmermann sich im vergangenen Jahr vor Gericht erfolgreich und mit großer Publicity gegen die Sonderbeschulung gewehrt hatten, ersann die Behörde neue Wege. Erste Versuche, über Zivildienstleistende die unterrichtsbegleitende Betreuung der Kinder zu gewährleisten, führten schließlich zum Modell der „Persönlichen Assistenz“, das Sozial-und Bildungssenator nach erster Erprobungsphase gestern der Presse vorstellten.

Je nach Kind liegen die Anforderungen an die berufliche Kompetenz der HelferInnen zwischen Pflegerin und Sozialpädagogin. Die Assistentin muß sich auch zurücknehmen, muß sich im Unterricht auch anderen Kindern widmen, um die Sonderstellung des Behinderten nicht weiter zu potenzieren. Sie muß auch daran mitarbeiten, Integration gesellschaftsfähig zu machen. Im Austausch mit der Schule müssen unter Umständen auch Lernziele umformuliert werden. „Schule muß sich bewegen. Sie wird daraus lernen.“ Die beteiligten Schulen sind zuversichtlich. Torben Zimmermann z.B. mache Riesenfortschritte, erzählt die Schulleiterin von den Erfahrungen mit dem Projekt. Die Kinder sollen dazu angeleitet werden, weitgehend selbständig zu werden und selbst aktiv an ihrer Integration mitzuarbeiten. „Es geht nicht darum, ihnen Anstrengungen abzunehmen“, betonte Senator Scherf. ra