Der Berliner Zonen-'Stern‘ für Arme und Entrechtete

■ 'extra‘ — ein Ostprodukt aus dem Hause Gruner+ Jahr will zum aufrechten Gleitmittel für den schweren Weg in die wahre Einheit werden

Berlin.Jetzt reicht's ! Nicht genug, daß dank des mit christdemokratischem Know-how vollzogenen Anschlusses bald jeder zweite Ex-DDRler auf dem Arbeitsamt die alten Sünden der SED-Wirtschaftsexperten absitzen muß, daß das gebeutelte Land nur noch als Müllkippe prosperiert und Bonner Hinterbänkler im Osten ihren zweiten Frühling auf Kosten von 16 Millionen Stasi-Spitzeln feiern dürfen, jetzt will man den ganz demokratisch verarschten FNLern nicht einmal mehr die Empörung überlassen. Nach der Devise »Alles muß man selber machen, auch Motzen kann der Zoni nicht!« hat Grunar+Jahr seinen 'Stern‘-Chefkorrespondenten Klaus Liedtke in den Berliner Verlag gesteckt, damit er und eine Handvoll Edelfedern von der Alster die geknechtete Ostseele salben können.

Die bekannteste DDR-Illustrierte, die vom Berliner Verlag herausgegebene 'NBI‘, soll jetzt als 'extra-Magazin‘ zum Zonen-'Stern‘ avancieren. Denn inzwischen hat man auch im Hause Nannen gemerkt, daß Ost- und Westleser nicht am gleichen Knochen knabbern. So folgt man mit der gewendeten Illustrierten dem bewährten 'Berliner-Kurier‘-Konzept und läßt den entrüsteten DDRler raushängen. Liedtkes Editorial liest sich wie ein Kampfaufruf der kommunistischen Plattform innerhalb der PDS. »Mut zum Widerstand: Gegen Wirtschafts-Kolonisatoren« und »gegen die Totschlagphilosophen von der Treuhand, die weiter sanieren, bis alles in Scherben fällt«, fordert der 'extra‘-Chefredakteur von seinen Lesern, ohne bei seinem Griff in die Zitaten- Kiste die SA=Treuhand=Hitler=Saddam=Rohwedder-Analogie zu scheuen. Gegen die »Vernichtung eines gewachsenen, reichen Kulturlebens«, gegen eine »als brüderliche Partnerschaft getarnte Fremdherrschaft« will der Mann aus Hamburg anschreiben und ließ erst einmal alle alten 'NBI‘-Schreiber in die zweite Reihe treten: Die Abrechnung mit Kohl, die KGB-Villen in Karlshorst, die Brandenburger Orgasmen, alles aus der Sicht der tief be- und getroffenen Ex-'Stern‘-Reporter, die mit der »lässigen Besserwisserei des Westens« brechen und »mit dem Herzen von hier« Anwalt der ehemaligen DDRler werden wollen. Zwar müssen die verbliebenen 'NBI‘-Redakteure noch nicht als Organspender fungieren — das mit dem »Herzen« kommt vielleicht erst, wenn die Auflage fällt — aber sie dürfen erst einmal das journalistische Handwerk lernen: Kleine Geschichten über die »Katzenschwemme in Leipzig«, »behinderte Kinder in Friedrichshain« — eben viel Herz, das hat man ja noch.

Die Mischung des 'extra‘ Magazins ist so banal wie das Layout. Man baut auf den Erfahrungen der 'Super-Illu‘ auf; Stasi-Sex-Mode- Sport-Frust, das Ganze nicht ganz so blöd, nicht zu schmuddelig, denn die 'extra‘-Leser von heute werden die 'Stern‘-Käufer von morgen sein. Wie Gysi ist auch »'extra‘ für die Einheit.«

Und was die auf die konzeptionelle Warte- und Lernschleife gesetzten Ostler betrifft, so kann man sie mit Sachsens Ministerpräsidenten trösten. Denn schließlich folgt Gruner + Jahr nur dem Ratschlag dieses Vorzeigeostlers und IG-Farben-Sohnes Kurt Biedenkopf. Der fordert von den Wirtschaftsunternehmen West, den Führungsnachwuchs zwei Jahre im Osten schwitzen zu lassen, bevor er auf den Chefstuhl darf. Also auf Wiedersehen Herr Liedtke 1993 in Hamburg. Bis dahin haben auch die Frauen im Osten die Einheit vollzogen und die bedauerliche »Orgasmusquote ihrer Schwestern im Westen« erreicht. Meier