: Den schönen guten Waren
Der 27. Adolf-Grimme-Preis: Glanz und Elend eines Fernsehpreises, der langsam in die Jahre kommt ■ Von Ute Thon
Der Preis ist heiß heißt eine der dümmsten Game-Shows bei RTL plus. Einen heißbegehrten Fernsehpreis bekam der Kölner Privatsender zwar für eine andere Produktion, der Jubel darüber dürfte bei RTL-Chef Thoma jedoch mit dem der Ratekandidaten vergleichbar sein. Zum ersten Mal hatte RTL eigene TV-Beiträge im Rennen (sieht man mal von der Spiegel-TV-Prämierung im letzten Jahr ab) und sogleich holte sich der Sender die begehrteste Trophäe: den Adolf-Grimme-Preis in Gold, der in der Auswahlkommission „Allgemeine Programme“ für die vier Sparten Kultur/Wissenschaft/Bildung, Information, Fernsehspiel und Unterhaltung diesmal nur ein einziges Mal vergeben wurde. Dabei war schon die Nominierung einigen JurorInnen suspekt, denn bislang waren die öffentlich-rechlichen Anstalten bei dem exklusiven Fernsehpreis weitgehend unter sich. An der Qualität des vorgeszeigten Produkts gab's allerdings keine Zweifel. Marcel Ophüls Novemberdays, eine Koproduktion von BBC und RTLplus, ist ein virtuos montiertes filmisches Essay zur deutschen Wiedervereinigung. In einem Kaleidoskop aus Interviewsequenzen, Archivbildern, Nachrichtenschnipseln und Spielfilmausschnitten seziert Ophüls die Hintergründe der „Wende“.
Der Name Ophüls tauchte im Wettbewerbsprogramm noch einmal auf. Martina Müllers Porträt des großen Regisseurs und Marcel-Ophüls- Vaters Max Ophüls: Den schönen guten Waren fand bei der Jury als dokumentarische Fleißarbeit einige Beachtung, ging Grimme-Preis-mäßig jedoch leer aus. Dafür erhielt die WDR-Sendung den Sonderpreis des NRW-Kultusministers. Die Produktion war symtomatisch für das diesjährige Wettbewerbskontingent. Spartenübergreifend gab es in dem insgesamt 52stündigen Fernsehmarathon viel Gutgemeintes, handwerklich ordentlich Gemachtes, aber echte Innovationen blieben rar. Zu den Highlights in der Sparte Kultur gehört Hartmut Schoens mit einem silbernen Grimme-Preis ausgezeichneter ZDF-Beitrag Alabama — Eine Liebesgeschichte. Auf den Spuren des Fotografen Walker Evans und des Reporters James Agee hat er im Süden der USA eine kleine, unspektakuläre Geschichte aufgespürt. Das unaufdringlich sozialkritische Filmessay lebt vor allem von Carl F. Hutterers sensibler Kameraarbeit.
Pflichtgemäß vergab die Grimme-Jury auch diesmal wieder einen Preis für Nazi-Vergangenheitsbewältigung. Andrea Morgenthalers Dokumentarfilm Die Reise der Kinder von La Guette (SWF) schildert in 90 langen Minuten das Schicksal jüdischer Kinder im französischen Exil. Ein ehrenwerter Film altbekannter Machart: Interviews mit Zeitzeugen, Ortsbesichtignung, Fotodokumente... Solche Filme muß es geben, damit die Naziverbrechen niemals vergessen werden. Aber muß eine Jury sie deshalb immer wieder auszeichnen? Bei den Grimme- JurorInnen war formale Kritik angesichts des gewichtigen Themas tabu. Der zweite Bronzepreis in der Sparte Information hatte auch etwas mit Vergangenheitsbewältigung zu tun. „Grimme-Veteran“ Bernd Mosblech hat mit seinem Dokumentarfilm Alte Kameraden wieder einmal ein solides TV-Stück abgeliefert. Letztes Jahr wurde seine Dokumentation über die Zugspitze prämiert, diesmal nun präsentierte er 80jährige Radrennfahrer, die aus ihrem bewegten Leben plauderten.
Die überzeugendenste Entscheidung traf die Jury diesmal in der Sektion Fernsehspiel, denn die drei prämierten Produktionen zeigen ein deutliches Votum für die Formenvielfalt, die diese Gattung hervorzubringen im Stande ist, wenn die Fernsehanstalten nur intelligente Macher mit genügend Geld und künstlerischer Freiheit ausgestatten. Cordt Schnibbens Politbüro-Story, eine minutiöse Rekonstruktion der letzten Tage der Honecker-Ära, wurde unter der Regie des Theatermanns Jürgen Flimm und Claudia Rohe zu einer beklemmenden Realsatire. Silber darum für diese WDR-Produktion und Silber auch für das ZDF- Fernsehspiel Der Hammermörder. Die Dichte, die Schnibben mit extremer Künstlichkeit erreichte, schaffen Fred Breinersdorfer (Buch) und Bernd Schadewald (Regie) bei ihrem Psychokrimi mit Hyperrealismus. Der schizophrene Polizist, der zur Rettung seiner spießbürgerlichen Scheinidylle den Hammer schwingt, wird von Christian Redl überzeugend, manchmal jedoch auch etwas zu überzogen dargestellt. An Xaver Schwarzenbergers Simenon-Verfilmung Ein anderer Liebhaber schieden sich die Jurygeister. Seine postmoderne Hommage an den „film noir“ erhielt geschraubte Lobeshymnen wie Etüde über Licht und Raum, während die Kritiker den „antiinhaltistischen, ikonographischen Hochdruck“ geißelten. Am Ende fiel für Schwarzenbergers Werk dann trotz eingestandener dramaturgischer Schwächen doch noch ein Bronzepreis ab, vor allem wegen seiner überzeugenden, detailverliebten Kameraarbeit.
Zum Schluß die Unterhaltung. Im letzten Jahr machte die Jury ja aus schierer Verzweiflung über das mangelhafte Wettbewerbsangebot einen Tierfilm zur Grimme-Unterhaltungssendung 1989. Diesmal nun gab es um so mehr zu lachen und zudem seltene Einmütigkeit bei der Wahl der Preisträger. Shooting-Star Hape Kerkeling hat Altentertainer Harald Schmidt eindeutig aus dem Rennen gekickt. Für seine Total normal-Show erhielt Kerkeling einen verdienten Silberpreis, der gleichzeitig auch als Annerkennung für das gesamte Radio-Bremen-Team gedacht ist, das den anarchistischen Spaß ermöglicht hat — überwiegend Frauen übrigens. Der zweite „Unterhaltungs-Grimmy“ ging an Kanal 4, jenen rührigen NRW-Privatsender, der sich bei Sat.1 einen nächtlichen Fensterplatz erkämpft hat. Donnerstag bei Kanal 4 heißt etwas spröde die einigermaßen intelligente Videoclip-Animation, die überraschender Weise gerade unter den älteren Jurorenjahrgängen wahre Begeisterungsstürme entfachte. Der juvenile Schub der Älteren-Herren- Runde (19 JurorInnen; 5 w, 14 m) verhalf Volker Andings Clipshow zum Silberpreis. Bleibt abzuwarten, ob sich das Grimme-Intitut in Zukunft dieser bislang unterbelichteten TV-Gattung eingehender widmen wird. Dann wäre demnächst Madonna absolut preisverdächtig.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß in der Wettbewerbssektion „Spielserien“ Matthias Seeligs BR-Serie Sekt oder Selters mit einem Bronzepreis gekürt wurde. Die Spezialjury vergab einen goldenen Grimme-Preis an Elfi Kreiter für deren herausragende Leistungen im Bereich Filmschnitt und einen Silberpreis an Friedrich Küppersbusch für seine Moderation des WDR-Magazins ZAK. Unerwähnt bleiben hingegen all die vielen überaus ärgerlichen Produktionen, die die Juroren im Laufe ihrer Jurytätigkeit über sich ergehen lassen mußten. Auffallend war in diesem Zusammenhang nur, daß die quälendsten Stücke oft von den Sendern selbst in den Wettbewerb geschickt wurden. Und das ist wiederum ein Indiz dafür, daß die von den Anstalten eigens eingesetzten Auswahlkommissionen entweder keine Ahnung vom Fernsehen haben, oder aber die Qualitätskriterien des Adolf-Grimme-Preises völlig mißversehen. Dabei heißt es doch in den Statuten ganz eindeutig: Ausgezeichnet werden Sendungen, „die die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen“. Also dann, beim nächsten Mal vielleicht!
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