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Der bayerische Krisenzyklus

Der FC Bayern München erreichte gegen den FC Porto im Viertelfinalhinspiel ein 1:1-Unentschieden Alle reden nun von fußballerischen Krisenerscheinungen, nur die Bayern selbst wissen nichts davon  ■ Von Werner Steigemann

München (taz) — Eines der beliebtesten Gesellschaftsspiele in München heißt: die Bayernkrise. Egal, ob der FC seit Wochen an der Spitze steht, ob er verlor oder gar zweimal schlecht spielte — die Gazetten schreien auf: „Endlich ist die Krise da!“ Während im Norden, Osten und Westen der Republik, wo alle Fußballanhänger den Bayern nur die Lederhosen ausziehen wollen, die Probleme des FCB zynische Freude erzeugen, kehren die Krisenzyklen wieder wie die alljährliche Starbesetzung.

Da ist die Kritik an den Fußball- Bayern in München selbst protestlerisch-aggressiv. Sie wirkt vom Moralischen her gesehen charakterlos. Ihr Ausgangspunkt ist das gelassene Zuschauen. Sie ist bösartig, derb-direkt, äußerst respektlos und bestimmt sich aus der Lust des spöttischen Herabminderns, dem Frotzeln. Keinerlei Rücksichten und Empfindlichkeiten sind der bayerischen Form der Verachtung fremd. Dahinter steckt die allen Naturvölkern eigene heidnische Respektlosigkeit selbst dem Höchsten gegenüber, besonders wenn ER sich als bayerischer Fußballverein präsentiert.

Und wer den Fußballhimmel erreichen will, muß sich jetzt auch bei seinem Versagen „dablecka“ (verspotten) lassen. Überflüssig zu erwähnen, daß ein erfolgloser FC Bayern trotzdem undenkbar ist. Aber die

Portugiesen beten noch katholischer als die Bayern, und die Madonna von Altötting ist weniger wert als die von Fatima. Olaf Thon jedenfalls erzählte nach dem Spiel: „Riesen sind wie das wirklich Leben: mal oben, mal unten.“

Der ungläubige Bayern-Coach Jupp Heynckes will überhaupt keine Krise sehen. Die Ursache für das Unentschieden erkannte er in der profanen Realität eines Fußballspieles: „Die Leistungen der unter Erfolgsdruck stehenden Spieler lassen mich optimistisch in die Zukunft blicken, wenngleich das Ergebnis als sehr dürftig zu bezeichnen ist.“ Dürftig, weil seine Elf ein gutes Spiel geliefert hat.

Für die erste Hälfte trifft dies zu. Trotz der gerechtfertigen roten Karte für Augenthaler (17. Minute) erspielten sich die Bayern eine Unzahl von Torchancen. Thon war nicht nur verbal am Ball, Wohlfarth köpfte an den Pfosten, Laudrup schoß einen Verteidiger an und Pflügler bestätigte seine ureigene technische Unbeholfenheit. Trotzdem: Zehn eifrige Bayern erzielten 1:0 nach Flanke von Thon zu Bender (31. Minute). Zu mehr reichte es nicht. „Es fehlt zur Zeit das Quentchen Glück“, trauerte Thon.

Nach dem Seitenwechsel gingen es die Münchner bewußt ruhiger an. Der FC Porto sollte kommen, die Bayern hofften auf schnelle Gegenzüge. Dieses System kommt dem Dänen Brian Laudrup entgegen, denn alle Chancen in der zweiten Halbzeit

entsprangen seinem Wirken. Leider ermüdeten die Bayern mit zunehmender Spielzeit. Allen voran Verteidiger Grahammer. Der ließ sich vom bulgarischen Nationalstürmer Kostadinow narren, dessen Eingabe Domingos zum 1:1 verwandelte (65.). Ein Ergebnis, das Portos Trainer Artur Jorge hinterher als gerecht bezeichnete.

Der in der Hochschule für Körperkultur und Sport in Leipzig ausgebildete Fußballehrer lobte noch den starken FC Bayern und verschwand sogleich aus dem Presseraum. Als gerecht empfand Jupp Heynckes das Ergebnis natürlich nicht, denn seine zehn Mann hätten sich auch in den zweiten 45 Minuten Torchancen erarbeitet.

Deren mangelnde Verwertung war aber nicht die einzige Ursache des enttäuschenden Unentschieden. Auch nicht am unfreiwilligen Ausscheiden von Augenthaler und dem Versuch, ohne klassischen Libero zu agieren, lag es.

Doch was nützt ein starker Thon, ein zaubernder Laudrup, wenn die Außenverteidiger Grahammer und Pflügler wie Falschgeld über den Rasen rennen. Jedoch „die Einstellung der Bayern, die Lust am Spiel und der Kampf“ läßt Olaf Thon für das Rückspiel in Porto hoffen. „Die Düsseldorfer EG hat in Rosenheim doch auch gewonnen.“ Und die Krise, die ist dann keine mehr. Jedenfalls bis nächsten Samstag in Stuttgart. Aber sie kommt wieder. Unvermeidlich, spätestens bei Beginn der Biergartensaison. Weil man unter blühenden

Kastanien, bei kühlendem Maß halt ein Gesprächsthema braucht.

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