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Die deutsche Arbeitsverwaltung wird zum Exportschlager

Verstärkte Auslandsaktivitäten der Bundesanstalt für Arbeit/ „Wir helfen, wo wir können“/ Weltweites Interesse am deutschen Modell, das sich so gut als Machtinstrument eignet — doch in Nürnberg gibt es keine Ausfuhrbedenken/ Als erste wurde die türkische Regierung vorstellig  ■ Von Bernd Siegler

„Nächstes Jahr fahren wir nach Mali.“ Heinrich Franke, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, hat Grund zur Freude. Nachdem die ehemalige DDR mittlerweile flächendeckend mit 38 Arbeitsämtern und 161 Nebenstellen überzogen ist, wird das Modell der deutschen Arbeitsverwaltung unter Federführung seiner Behörde kräftig weiter exportiert. Die Interessenten stehen in Nürnberg Schlange, und Franke spricht selbstzufrieden von einer „gigantischen Aufgabe“. „Wir haben kaum Zeit zum Luftholen“, bekennt auch Kurt Berlinger, der das eigens dafür eingerichtete Referat „Aufbau und Reform ausländischer Arbeitsverwaltungen“ leiten wird.

Den Anfang der gezielten Auslandsaktivitäten der BfA machte 1987 die türkische Regierung. Sie bat die Bundesregierung um logistische Unterstützung beim Aufbau einer Arbeitsverwaltung nach deutschem Vorbild. Im Herbst 1989 zeigte Ungarn großes Interesse, es folgte die CSFR, dann Polen. Im Dezember 1990 führte Franke eine Delegation nach Moskau an. Auf der Warteliste stehen derzeit Rumänien und Bulgarien, aber auch afrikanische Staaten wie Zimbabwe und Mali.

„Es geht nicht um eine einfache Adaption der deutschen Arbeitsverwaltung wie in der DDR“, hat sich Kurt Berlinger vorgenommen. Die BfA wolle vielmehr bei ihren Aktivitäten die „historischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und derzeitigen politischen Verhältnisse der Partnerländer unbedingt beachten“. Es gehe darum, gemeinsam mit den jeweiligen Ländern Vorschläge für den „Aufbau einer Arbeitsverwaltung in einer modernen Industriegesellschaft“ zu erarbeiten.

800 Schulungen in drei Jahren

In den Verwaltungsschulen der Bundesanstalt geben sich derzeit die Delegationen aus den ausländischen Arbeitsverwaltungen die Klinke in die Hand. Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen rund 800 leitende Behördenbeschäftigte aus dem Ausland weitergebildet werden. Auf dem Programm stehen dabei „Arbeitsmarkttheorie“, „Stellung einer Arbeitsverwaltung in einer sozialen Marktwirtschaft“ und „einfache, aber dennoch bedeutsame Grunderkenntnisse eines freiheitlichen Staates“. Bei den osteuropäischen Ländern, so Berlinger, gehe es jetzt vor allem darum, „die gesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere den Wechsel von Planwirtschaft zur Marktwirtschaft sozialverträglich zu gestalten“ und abzufedern. „Neu einzuführende freiheitliche Instrumente der Arbeitsmarktpolitik“ sollen die Probleme der zu erwartenden Massenarbeitslosigkeit bewältigen.

„Wir helfen, wo wir können“, gibt sich BfA-Präsident Franke ganz selbstlos und räumt ein, daß das deutsche Modell inzwischen weltweit eine „Leitfunktion“ habe. Berlinger hält die Auslandsaktivitäten der BfA für ein „wichtiges politisches Signal, daß Deutschland im Zuge der deutschen Einigung seine Nachbarn nicht vergessen“ habe. Und nicht ohne Stolz verweist er darauf, daß sich alle Partnerländer schließlich bei Arbeitsverwaltungen in Schweden, Frankreich, Niederlande, Großbritannien und Österreich informiert hätten und „wieder zum Modell der Bundesanstalt für Arbeit zurückgekommen sind“.

„Das deutsche Modell kommt den Ländern in ihrer jetzigen gesellschaftlichen Situation entgegen“, begründet Berlinger das rege ausländische Interesse. Er verweist auf die Konstruktion der deutschen Arbeitsverwaltung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, das in Selbstverwaltung von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und öffentlichen Körperschaften funktioniert. Die Aufgabenfülle einer „vorausschauenden, vorbeugenden Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik“ (so die BfA- Selbstdarstellung) mit den Monopolen für Berufsberatung, Arbeitsvermittlung, Leistungsgewährung und Arbeitsmarkt- und Berufsforschung macht das deutsche Modell zu einem auch für ausländische Staaten interessanten Machtinstrument.

„Wir beschäftigen uns intensiv mit den Ratsuchenden“, preist Berlinger die Vorzüge des deutschen Modells. In anderen Ländern sind Arbeitsämter dagegen oft reine Arbeitsvermittlungsstellen oder Jobcenter. Die individuelle Beratung ist jedoch insbesondere für die Länder von enormer Bedeutung, bei denen in den letzten vierzig Jahren zumindest offiziell Arbeitslosigkeit keine Rolle gespielt hat. Die „Ungewißheit dieses neues Schicksals ist sehr belastend“, bekommt Berlinger sehr oft von seinen Ostkollegen zu hören. Da böten die Ämter „einen gewissen Halt“ und wirkten „mehr staatserhaltend“.

Berlinger betont, daß die bundesdeutschen Arbeitsämter „in der Arbeit am Menschen“ viel Erfahrung hätten. „Das ist siebzig Jahre lang gewachsen, mit einer dunklen Vergangenheit dazwischen.“ Berlinger verschweigt jedoch, daß kurz vor und während dieser „dunklen“ Zeit die deutsche Arbeitsverwaltung erst zu dem geworden, was sie heute ist.

Dazwischen die „dunkle Vergangenheit“

Denn im Oktober 1927 wurde die „Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung“ errichtet und damit der Aufbau einer Zentralbehörde abgeschlossen, die das vorasugegangene Fürsorgeprinzip durch das Versicherungsprinzip ablöste. Die Arbeitswilligkeit wurde zur Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme der staatlichen Leistungen, die Arbeitskraft wurde staatlich verfügbar. Die Arbeitsvermittlung schließlich geriet zum Instrument dafür, diese Arbeitskräfte nach den jeweiligen wirtschaftlichen Erfordernissen planmäßig auszuwählen und zu lenken.

Ohne Zögern übernahm denn auch die Reichsanstalt zentrale Funktionen der Nazi-Arbeitsmarktpolitik. Arbeitsvermittlungsstellen, die nicht in das System passten, wurden aufgehoben, jüdische und gewerkschaftliche Einrichtungen sehr schnell verboten. 1934 erhielt die Reichsanstalt die bis heute gültigen staatlichen Monopole für Arbeitsvermittlung, Arbeitskräfteverteilung und Berufsberatung. Ein Jahr später kam mit der Einführung der Arbeitsbuchpflicht noch die Kontrolle über alle Beschäftigtenbewegungen auf dem Arbeitsmarkt hinzu.

Die von Berlinger so gerühmte Individualisierung der Beratung und Arbeitsvermittlung hat aber außer der Kontrolle und Disziplinierung noch weitere historische Dimensionen: Die der Rekrutierung von Zwangsarbeitern und vor allem der Selektion mißliebiger oder zu Staatsfeinden erklärter Gruppen von Menschen, der sogenannten „Wanderer“, „Asozialen“ und Juden. Daß die Ämter mit einer solchen Machtfülle ausgestattet wurden, bereitete, so der Oldenburger Sozialwissenschaftler Horst Kahrs, erst den Boden, auf dem später die nationalsozialistische „Radikalisierung der Betreuung“ als „Einheit von Integration und Aussonderung“ gedeihen konnte.

Diese Möglichkeit, in diesem Sinne eine durchorganisierte Arbeitsverwaltung wirtschaftlich wie politisch erneut zu instrumentalisieren, bereitet der BfA bei ihren Auslandsaktivitäten jedoch kein Kopfzerbrechen. Die Programme werden aufgestockt, die Finanzierung ist gesichert. So schlägt die Reform der türkischen Arbeitverwaltung in den nächsten vier Jahren im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit insgesamt 1,8 Millionen D-Mark zu Buche. Die Maßnahmen für die übrigen Länder deckt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit 800.000 D-Mark für 1990. 1991 wurde ein Mittelbedarf von rund 2,2 Millionen D-Mark kalkuliert.

Und daß die deutsche Hilfe nicht ganz so selbstlos geschieht, wie es die BfA nach außen hin darstellt, zeigt Berlingers Aussage, daß „funktionierende und zum Teil kompatible Arbeitsverwaltungen in Osteuropa“ schließlich eine „wichtige Voraussetzung“ dafür seien, „damit sich die noch weiter anhaltenden Arbeitskräftewanderungen nach Deutschland in für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sozialverträglichen Bahnen vollziehen“. Der Kampf gegen polnische Schwarzarbeiter, die mit Touristenvisa ohne gültige Arbeitserlaubnis einreisen, lasse sich so leichter führen. „Kompatible“ Arbeitsverwaltungen könnten es auf diese Weise zumindest grundsätzlich ermöglichen, den Datenaustausch und die Kontrolle der internationalen Wanderbewegungen auf den Arbeitsmärkten zu verbessern.

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