Der Helmut Kohl Amerikas

George Bushs Nachkriegsansprache an die Nation war eine Rede der verpaßten Möglichkeiten/ Plattitüden und Patriotismus statt Analysen und Ausblick/ Vorsichtige Aufforderung an Israel, besetze Gebiete zu räumen  ■ Aus Washington Rolf Paasch

In dem Augenblick, als er um 21.12 Uhr Ostküstenzeit vor beide Häuser des Parlaments und die Nation trat, war er der populärste US-Präsident aller Zeiten. Selbst Harry Truman war nach dem Zweiten Weltkrieg nur auf eine Popularitätsrate von 87 Prozent gekommen. Für George Bush würden dagegen in diesen Tagen sogar 90 Prozent aller US-Bürger ihr Jawort abgegeben. „Die anderen zehn Prozent“, so kommentierte der republikanische Senator Bob Dole die stupende Popularität seines Präsidenten, „wissen nicht, wer George Bush ist.“

So sind sie denn gekommen, um den Befreier Kuwaits und der eigenen Komplexe vor den Fernsehkameras zu huldigen. Wie begeisterungsfähige Schulkinder haben sich die Parlamentarier rot-weiß- blaue Plastikfähnchen ans Revers geheftet. Vor allem die Demokraten im Repräsentantenhaus und die demokratischen Senatoren, die dem Obersten Befehlshaber bei der Debatte um die Kriegsvollmacht Anfang Januar die Gefolgschaft versagt hatten, wollen nun für ihr Wahlkreispublikum hemmungslos klatschend von den Fernsehkameras eingefangen werden. Um sich von einem solch opportunistischen Patriotismus abzusetzen, haben die Republikaner gelbe Ansteckbuttons entwickelt: „Ich habe für den Präsidenten gestimmt“.

„Die Aggression ist zurückgeschlagen. Der Krieg ist beendet“. Gleich die Ovation für seine ersten Worte steigert sich zum rhythmischen Klatschen und „George Bush“-Schlachtrufen wie auf dem Fußballfeld. George ist sichtlich bewegt.

„Heute trete ich vor dieses Haus und spreche über die Welt — die Welt nach dem Krieg“, fährt er fort und präsentierte eine Weltansicht und Kriegsretrospektive für Vierjährige. Eine Welt, in der die Rollenverteilung so eindeutig ist wie in einem B-Movie: „Saddam war der Übeltäter. Kuwait das Opfer“. Eine Welt, in der amerikanische Söldner um die halbe Welt reisen, in ein Land, „das viele Amerikaner gestern noch nicht kannten“; in der sie den Krieg gewinnen; in der barmherzige GIs die aufgebenden feindlichen Truppen mit einem Satz beruhigen, wie er mittlerweile von Leningrad bis Basra verstanden wird: „It's okay, your're alright now“, was soviel heißen soll wie „wo auch immer du bist, du befindest dich in unserem Kulturkreis“. „Und mit hochgehaltenen Köpfen kehren sie nach Hause zurück“ ... „ohne auch nur eine Gegenleistung zu verlangen.“ „Wir tun das, weil wir Amerikaner sind.“ George Bushs Sprache hatte wieder einmal die ganze Tiefe einer Sportschuhreklame. Ob Krieg oder Basketball. „Nike. Just do it“.

Dann blickt der 41. Präsident in die Zukunft, die in Form des hinter ihm sitzenden Vizepräsidenten Dan Quayle schon bedrohlich ins Bild ragt, und sieht vier „Herausforderungen“: Erstens, gemeinsame Sicherheitsvereinbarungen für den Mittleren Osten. „Dies heißt nicht, daß wir Bodentrupen auf der arabischen Halbinsel stationieren werden“, verspricht Bush, um dann in den nächsten Sätzen klarzumachen, daß regelmäßige militärische Übungen mit rotierenden Truppeneinheiten de facto auf eine solche Präsenz amerikanischer Bodentruppen (und Seestreitkräfte) in der Region hinauslaufen werden.

Zweitens, Rüstungskontrolle. Nachdem das 'Wall Street Journal‘ am Vortag in einer Titelgeschichte überzeugend beschrieben hatte, daß sich die Rüstungsindustrie den Waffenhandel im Mittleren Osten kaum verbieten lassen werde, mahnt Bush vor der weiteren Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, ohne auch nur eine einzige konkrete Maßnahme dazu vorzustellen.

Drittens, so stellt George Bush fest, sei die Zeit gekommen, dem israelisch-arabischen Konflikt ein Ende zu machen. Indem er von einem „Zwillingstest von Fairneß und Sicherheit“ spricht, von der Einhaltung der UNO-Resolutionen 242 und 338 sowie dem „Prinzip von Land gegen Frieden“, scheint er Israel vorsichtig an die zum Frieden notwendige Aufgabe besetzter Gebiete erinnern zu wollen.

Als vierten Punkt nennt Bush schließlich die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten. Doch spätestens seit seinem Spruch nach Kriegsende, daß er keinen einzigen amerikanischen Steuergroschen für den Wiederaufbau des Iraks verwendet sehen möchte, ist klar, daß sich seine Administration auch in dieser Region so zu verhalten gedenkt wie vorher in Nicaragua und Panama. Dort warten die Betroffenen vergangener US-Eingriffe noch heute auf die versprochene wirtschaftliche Hilfe der USA.

Und dann kommt er endlich, der von vielen erwartete und beschworene rhetorische Schwung von der Außen- zur Innenpolitik. „Wir müssen das gleiche Gefühl von Selbstdisziplin und Dringlichkeit auch bei der Bewältigung unserer heimischen Herausforderungen anbringen“, sagt Bush und hat damit alle auf seiner Seite. Dringlich sind dem Präsidenten vor allem zwei Gesetzentwürfe. Ein Gesetz zur Verbesserung des Verkehrswesens, (sprich noch mehr Highways, damit die Schlacht ums Öl auch einen Sinn bekommt) und ein Gesetz zur härten Verbrechensbekämpfung (hier scheint man sogar von Saddam lernen zu wollen).

Beide Entwürfe hätte der Präsident vom Kongreß gerne in 100 Tagen verabschiedet, was doch wohl gehen müsse, wenn die Streitkräfte ihre Aufgabe in 100 Stunden erledigen konnten. Wer je sehen wollte, wie geprügelte Hunde auch noch klatschen, brauchte nur einen Blick auf die angesprochenen Demokraten im Rund des Kapitols werfen. Soviel zur Innenpolitik.

Mit dieser Rede, so bemerkte anschließend ein Kommentator, habe George Bush eine Chance vertan, die kaum ein anderer Präsident je gehabt habe: nämlich in einem Moment des allgemeinen Konsenses die Richtwerte für die Zukunft Amerikas zu setzen. Doch solche Kritik zielt letztlich an der unbestreitbaren Tatsache vorbei, daß sich George Bush im Golfkrieg als Helmut Kohl Amerikas erwiesen hat. Mit seiner instinktiv entwickelten, aber dann sorgfältig orchestrierten Politik gegenüber Saddam Hussein war er der Seele seines Volkes immer näher als alle seine Kritiker.