: Hessen: Der „Koalitionsritt“ wird härter
Bei den Koalitionsgesprächen stoßen die rot-grünen Partner an ihre Kompromißgrenzen/ Nach konsensträchtigen Sachverhandlungen liegen jetzt diverse Personalfragen als Stolpersteine auf dem Weg zur sozial-ökologischen Koalition ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Bei den hessischen Sozialdemokraten gärt es. Der designierte Ministerpräsident Hans Eichel, dessen rot- grüne Wunschkoalition im Wiesbadener Landtag nur über die hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen verfügt, hat sich in einer Personalsache bei den Genossen unbeliebt gemacht. So unbeliebt, daß man sich in Wiesbaden schon fragt, ob am 5.April tatsächlich alle SPD-Stimmen für den Ministerpräsidenten Eichel in der Wahlurne liegen werden. Eichel, der in der Mönchbruchmühle im Startbahnwald seit Wochen mit den Grünen ums zukünftige Regierungsprogramm ringt, möchte die SPD-Abgeordnete Haidi Streletz zur Parlamentspräsidentin küren lassen. Als Favorit der SPD-Fraktion jedoch gilt der als „Streber“ apostrophierte Karl Starzacher. Nicht genug der Konkurrenz. Neben Streletz und Starzacher spekulieren noch Armin Claus, Ex-Minister unter Holger Börner, und die Abgeordnete Veronika Kiekheben-Schmitt-Winterstein, Gattin des Rüsselsheimer Oberbürgermeisters Norbert und Schwägerin von Ex-Innenminister Horst Winterstein, auf den repräsentativen Sessel.
Doch nicht nur SPD-intern stehen Personaldebatten ins Haus. Auch in der Mönchbruchmühle streiten seit gestern die koalitionswilligen Delegationen von SPD und Grünen — nach harmonischen Sachverhandlungen — um Minister- und Staatssekretärsposten. Daß Joschka Fischer Minister für Umwelt und für Bundesratsangelegenheiten werden soll, ist inzwischen Konsens. Um so heftiger regt sich bei der SPD der Widerstand gegen eine grüne Ministerin für Frauen und Soziales. Denn im Schattenkabinett Eichel war die Berliner Ex-Senatorin Heide Pfarr als Ministerin für Frauenfragen und Arbeit nominiert worden. Und an dieser Personal(vor)entscheidung Eichels wollen die Sozis unter allen Umständen festhalten.
Iris Blaul (Die Grünen) gegen Heide Pfarr (SPD) heißen die Alternativen. Ein Kompromiß ist nicht in Sicht. „Hart bleiben“ lautet die Devise bei den Grünen, die sich erst nach scharfen internen Auseinandersetzungen auf die Forderung „Frauenministerium für Iris Blaul“ verständigen konnten. Doch „hart bleiben“ wollen auch die Sozialdemokraten, die ihr Ressortkonstrukt „Frauen und Arbeit“ für ein „Schlüsselministerium“ halten — und Heide Pfarr für die „optimale Besetzung“. Mit dem renommierten Professor Ulrich von Weizsäcker, der ursprünglich den Part des Umweltministers übernehmen sollte, habe man bereits einen prominenten und fachkundigen Genossen der Koalitionsräson geopfert. Ein „klassisches SPD-Ressort“ wie das Sozialministerium dürfe deshalb nicht noch zusätzlich an die Grünen fallen.
Ob die Grünen in dieser Frage so hart bleiben werden, wie aus dem Umfeld der Verhandlungsdelegation signalisiert wird, bleibt abzuwarten. „Klammheimlich“ werden sich jedenfalls die Ministerkandidaten, die bei der grün-internen Debatte durch das Tauglichkeitsraster gefallen waren, neue Chancen ausrechnen: Fritz Hertle etwa als Kultusminister oder Karl Kerschgens als Finanzminister. Doch gegen diese „Alternativen“ waren nicht nur die grünen Frauen Sturm gelaufen. Auch aus der SPD war präventiver Widerstand vor allem gegen die Besetzung eines grünen Finanzministers laut geworden. Bliebe als „Ausweg“ das Landwirtschaftsministerium für die grüne Landtagsabgeordnete Irene Soltwedel, eine unumstritten fachkundige Agrarexpertin — und eine Frau. Die Unterhändler jedenfalls stehen unter Zeitdruck. Schon morgen wollen sie die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen in Wiesbaden vorstellen. Am Wochenende darauf finden dann die Parteitage in Langgöns (SPD) und in Darmstadt (Grüne) statt. Bei den Grünen ist Ärger schon programmiert. Die Basis murrt, weil die Verhandlungen quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfanden und die Interventionsmöglichkeiten in Sach- und Personalfragen mehr als gering ausfielen. Mit Blitzreisen zu den Kreisverbänden sollen — nach Abschluß der Verhandlungen — die Parteimitglieder informiert und ruhiggestellt werden.
Genug Stoff für Verstimmungen bei SPD wie Grünen. Da könnte es schon zum historischen Ereignis geraten, daß die grüne Landtagsabgeordnete Irene Soltwedel „so um den 5.April herum“ Mutter wird. Dann nämlich hängt Hans Eichel mit seiner rot-grünen Koalition am seidenen Faden einer einzigen Stimme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen