„Einfach Wahnsinn, keinen Hunger zu haben“

■ Pro: Fasten ist eine Herausforderung / Contra: Vollwerternährung hat den gleichen Effekt

„Ich habe mich gefühlt wie 20 Jahre jünger“, schwärmt die 55jährige Hannelore Steckel (Hausfrau) von ihrer ersten Fastenwanderung im Teutoburger Wald. Eine Woche lang hat sie mit Kräutertee, verdünnten Säften und Gemüsebrühen gelebt und ist dabei täglich 30 Kilometer gewandert. „Keinen Hunger zu haben, war für mich das Erlebnis, einfach Wahnsinn“, sagt sie.

Ina Monti (43 Jahre), Lehrerin in Bremen, ging es ähnlich. Während ihres ersten Fastenexperimentes in den Ferien hatte sie „ein Gefühl wie Abheben“. Zusammen mit einer Freundin hielt sie ebenfalls eine Woche lang durch. „Für mich war das eine echte Herausforderung, ob ich das überhaupt schaffen würde“, erinnert sie sich. „Aber dann ist es mir erstaunlich leicht gefallen“.

Auch Pastor Erwin Haar ist von seinen Fastenerlebnissen begeistert. Seit einigen Jahren leitet er die Passions-Aktion der evangelischen Kirche „sieben Wochen ohne“ in der Elener Brok Gemeinde. Ein Kreis von acht bis zehn Gemeindemitgliedern nimmt sich zwischen Aschermittwoch und Ostern vor, auf vieles, was zur Gewohnheit geworden ist, zu verzichten. „Den einen geht es dabei direkt ums Abnehmen, andere verzichten nur auf Alkohol und Zigaretten oder ihr Auto“, erklärt Pastor Haar. „Für mich persönlich war wichtig, daß ich mal an meiner Abhängigkeit vom Fernsehen gerüttelt habe.“ Durch das bewußte Verzichten auf Fernsehen habe er auch gleich zwei andere Laster in Frage gestellt, Rauchen und Wein trinken. „Bei unseren Treffs haben wir viel über unseren Konsum und das Elend in der Dritten Welt diskutiert“, sagt er.

Frühlingzeit ist Fastenzeit. Ob nun gesundheitlich, religiös oder gesellschaftskritisch motiviert, allen Fastern gemein ist die starke Selbstdisziplinierung. Eine, zwei oder mehr Wochen lang gibt es nichts außer Wasser, Tee und Säfte, höchstens mal eine Gemüsebrühe. Ob der Rausch der Nüchternheit aber gesund ist, bleibt umstritten. Gegner sind der Meinung, daß Fasten nicht nur überflüssiges Fett, sondern auch Muskeln und Nieren angreift. Ihre Kontrahenten sprechen vom natürlichen Instinkt des Körpers und seinen Selbstheilungskräften. Danach soll es gesundheitlich ungefährlich sein, wochenlang ohne Nahrung zu leben. Man könne dabei sogar noch erstaunliche Leistungen vollbringen.

Fasten, der natürliche Weg zu körperlichem und geistigem Wohlbefinden? Die Erlebnisse von Fastenden zumindest sprechen dafür. „Das Fasten war für mich der Weg zu mir selbst“, erzählt Monique Schiller aus Syke. Regelmäßig im Frühling und Herbst legt sie je nach Befinden längere oder kürzere Fastenzeiten ein. „Mir hat das Fasten aus einer persönlichen Krise rausgeholfen, ich habe dadurch neue Kräfte gewonnen“, sagt sie. Inzwischen hat Monique eine Ausbildung als Fastenleiterin gemacht und begleitet Gruppen auf ihren Fastenwanderungen. „Ich wollte schon immer eine Arbeit machen, bei der ich nicht gezwungen bin, mitzumachen bei der Umweltzerstörung“, begründet Monique ihren Neuanfang.

Der Bremer Ernährungswissenschaftler Karl-Heinz Günster dagegen ist speptisch. „Nach dem zehrenden Winter sollte man im Frühling lieber auftanken. Also anstelle des Fastens viel Obst und Gemüse essen“, empfiehlt er. Zu jeder anderen Zeit sei Fasten, wenn es bei einer Woche bliebe, nicht direkt gefährlich, unter der Voraussetzung, daß man auf genügend Flüssigkeit achte (ca. zwei Liter am Tag). Von längeren und wiederholten Hungerzeiten rät er jedoch ausdrücklich ab. Sein Argument: Pestizide oder andere Giftstoffe lagern sich überwiegend im Fettgewebe ab. Durch die Hungerkur werden sie plötzlich mobilisiert und geraten direkt in die Blutbahn. Das kann zur Schädigung verschiedenener Organe führen. Außerdem, so Günster, werde der ganze Stoffwechsel in Mitleidenschaft gezogen, da schon nach drei bis fünf Tagen auch körpereigenes Eiweiß, wie Muskel abgebaut werde. „Dadurch ist ein Fastender anfälliger für Infektionskrankheiten“, weiß er. Durch die Zunahme von Harnsäure im Blut kann es außerdem bei erblich Vorbelasteten zu Gicht kommen.

Was die Fastenden, so Günster, wohl in erster Linie begeistere, sei zusammen mit einem Gruppenerlebnis das euphorische „High-Gefühl“, das nach einigen Tagen eintritt. Die Erklärung für dieses Phänomen: Angeregt durch Mangelversorgung werden beim Hirnstoffwechsel körpereigene Drogen ausgeschüttet. „Dieser Mechanismus hat den Menschen in seiner Evolutionsgeschichte immer wieder über Hungerperioden hinweggeholfen“, erklärt Günster. „Denn wenn unsere Vorfahren bei Nahrungsmangel sich passiv ihrem Schicksal ergeben hätten, wären sie ausgestorben.“

Günsters Quintessenz: Die Gewalttour des Fasten ist überhaupt nicht nötig, denn der Körper entschlackt sich selbst ohne Zutun. „Vernünftige vollwertige Ernährung hat genau den gleichen Effekt.“ Birgit Ziegenhagen