Da wenn mal ein Knopf nicht aufgeht!

■ Harald Beutelstahl (55), der Tänzer von Kresniks „König Lear“, über das Alter sowie die Schwierigkeit, innerlich nackt zu sein

Harald Beutelstahl: „Einmal was Komisches spielen...“Foto: Sabine Heddinga

taz: Herr Beutelstahl, Sie treiben Ihren Lear, winselnd und unterhosenschnüffelnd, über die Grenze der Erbärmlichkeit noch hinaus. Tut Ihnen das weh?

Gar nicht. Auf der Bühne, da bin ich der Lear, da merk ich nichts. Nein, das bin ich gewöhnt.

Gewöhnt? Das geht?

Ach, das lag mir eben immer schon, diese skurrilen, abseitigen Typen. Außerdem: der Lear hat ja doch, nach allem Inzest und so, am Ende eine Größe.

Das entschädigt Sie?

Jaja. Aber das könnte auch fast jeder. Wenn man eine gewisse Phantasie hat. Die brauchen Sie. Die Figur, die sollte ja nicht einfach so, die sollte innerlich nackt sein. Nacktheit an sich ist ja nur langweilig. Also einfach nackt in diesem Käfig rumzustehn, das wär nicht gegangen. Das ist aber sehr schwer zu füllen, wenn man so entblößt ist.

In Ihre Figur sind hochkomplizierte Bewegungen eingebaut.

hierhin bitte

das Foto:

Kopf eines alten Mannes

links am Rand

Ja, das ist zum größten Teil auf meinem eigenen Mist gewachsen.

Und der Kresnik läßt Sie?

Der läßt mich. Das ist natürlich auch schwierig für mich, grad bei diesem Stück, wo alles so schwimmt. Da wenn mal auf der Bühne ein Knopf nicht aufgeht! Sehr schwer.

Nun ist das auch eine physische Höchstleistung. Wie kriegen Sie die hin?

Das ist Training, ganz normal. Training, Proben, Training, Proben. Also der Alltag eines Tänzers. Ziemlich grau.

Merken Sie auf der Bühne, wenn Sie Ihr Publikum überwältigen?

Jaja, doch. Das fällt mir auf, das ist eine besondere Stille.

Der Lear ist ja ein Grenzfall. Könnten Sie noch darüber hinaus?

Ja, auf jeden Fall. Das ginge vielleicht mit dem Fernsehen, da kann man das extremer machen, die Inzest-Szenen noch auf die Spitze treiben.

Das würde Sie reizen?

Ja. Wie überhaupt das ganze absurde Theater.

Ihr erstes Stück mit Kresnik ging auch schon in die Richtung.

Ja, das war 67 in Köln, da war Kresnik auch als Tänzer. Wir haben da „O sela pei“ gemacht, ein Stück nach Leo Navratil. Das ist der Psychiater mit den Schizophrenen-Gedichten. Ich hab ja angefangen ganz normal mit Klassischem Ballett, aber damals hat uns das schon ziemlich angekotzt, dieser Manierismus. Was heißt damals, das ist ja heute so wie eh und je.

Hat Sie die klassische Ausbildung gereut?

Nein, die nützt mir sehr viel. Das klassische Ballett, das ist ja die disziplinierteste Sparte des ganzen Theaters. Da lernt man schon eine gewisse Perfektion. Aber natürlich sehr anstrengend. Überhaupt, die eigenen Grenzen. Irgendwann kriegt man ein Verhältnis dazu. Aber früher hab ich schon oft geschuftet bis zum Umfallen.

Sie sind jetzt 55 Jahre alt und seit 35 Jahren Tänzer. Ist es vorgekommen, daß Sie den Krempel hinschmeißen wollten?

Ja! Oft, oft. Aber ich komm nicht los.

Eine Suchtkrankheit?

Ja!

Und der Wirkstoff?

Ist der Erfolg.

Den haben Sie hier. Sie waren ja schon mal, von 1970 bis 1979, mit Kresnik in Bremen. Jetzt leben Sie in Heidelberg. Haben Sie schon mal an Rückkehr gedacht?

Nein. Wie auch. Das fängt beim Umzug schon an. Keiner würd mir den zahlen. Und von den 3.300 Mark, die ich kriege...und auch nur, weil ich eine vierköpfige Familie habe. Die andern kriegen noch weniger. Zweitausend vielleicht.

Und Ihre Familie? Ist die wichtig?

Sehr. Im Privatleben, da bin ich sehr bürgerlich, das Gegenteil von der Bühne. Meine Familie, Frau, drei Kinder, das ist für mich der einzige Motor, um solche Figuren überhaupt zu erreichen. Sind ja alles kranke Gestalten. Sonst hätt ich mir auch schon längst einen Revolver gekauft.

Wie lang wollen Sie noch tanzen?

Drei, vier Jahre höchstens, dann hör ich auf. In meinem Alter will man dann schon mal die Ernte sehen.

Welche Ernte?

Geld. Geld. Münze. Aber da ist ja nichts zu machen in diesem Beruf.

Wie dann?

Da müßt ich Gastspiele machen, Fernsehsendungen und so.

Gängigere Sachen.

Das wär das wenigste. Ich hab eben Familie. Meine Frau ist Philippinin, und wir überlegen jetzt, ob wir nach Südfrankreich gehn. Oder auf die Philippinen. Da müßt ich schon was kaufen erstmal.

Was machen andere Tänzer ihres Alters?

Ballettschulen. Oder Choreographie. Beides interessiert mich aber überhaupt nicht.

Gibt es welche, die mit 55 Jahren noch tanzen?

Ja, einen in Köln. Aber der ist ein bißchen jünger.

Würden Sie Rente kriegen, wenn Sie aufhören?

Ja, aber nur minimal. Eigentlich müßt ich da auch bis 65 tanzen. Vorher kommt man nur raus über die Berufsunfähigkeit. Aber das geht ja bei einem Tänzer schnell, vor allem wenn er alt ist. Das Tanzen verschleißt ja. Ich zum Beispiel, bei mir sind's die Knie.

Wenn Sie aufhören, was wär Ihre liebste Abschieds-Rolle?

Ach, einmal was Komisches.

Interview: Manfred Dworschak

Wiederaufnahme „König Lear“: heute um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz