»Viele Prostituierte haben ihren Job satt«

■ Schöneberger Geschlechtskrankenberatungsstelle stellt Aussteigeprogramm für Prostituierte vor

Schöneberg. Die Einladung zur Pressekonferenz zierte eine weiße Spitzenborte. Ein versteckter Hinweis auf dem Briefumschlag verkündete geheimnisvoll: »Bettgeschichten«. Doch weit gefehlt, wer sich nach diesem Vorgeplänkel Obszönes erhoffte. Die fünf Frauen, die am gestrigen Frauentag im Untergeschoß des Rathauses Schöneberg vor die zahlreich erschienene Journaille traten, hatten ein ernstes Thema im Sinn: Beratungs- und Hilfsangebote für Prostituierte, die aussteigen wollen. Die Geschlechtskrankenberatungsstelle Schöneberg, so hieß es, sei bislang die einzige Einrichtung in der Bundesrepublik, die aussteigewilligen Prostituierten mit psychologischer Beratung und sozialpädagogischer Betreuung bei diesem Vorhaben tatkräftig Hilfe leiste. Die Erfolgsbilanz: Rund 150 Frauen und 11 Männer hätten das alte Gewerbe bislang an den Nagel gehängt, Schulabschlüsse nachgeholt und sich für neue Berufe — vor allem im pflegerischen Bereich — qualifiziert. Von der Zeit ihres Ausstiegs bis zur Wiederaufnahme einer neuen Arbeit wurden sie von dem Team der Schöneberger Beratungsstelle unterstützt.

Die Notwendigkeit für ein Aussteigeprogramm sahen die Mitarbeiterinnen der Geschlechtskrankenberatungsstelle schon lange. Der Ärztin der Beratungsstelle, Ruth Hörnle, die die Prostituierten laut Gesetz alle 14 Tage auf Geschlechtskrankheiten untersuchen muß, hörte in Gesprächen von vielen Frauen immer wieder, sie hätten ihren Job satt. Auf ihren Antrag hin wurde der Schöneberger Beratungsstelle 1986 zunächst eine zusätzliche Stelle im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) bewilligt, die mit der Psychologin Gesina Marwitz besetzt wurde. Anfang 1991 wurde die Stelle von Frau Marwitz in eine feste halbe Stelle umgewandelt. »Der Ausstieg ist ein langer Prozeß, weil viele Ängste dabei hochkommen«, berichtete Marwitz gestern. Bei den Gesprächen mit den Frauen hat die Psychologin festgestellt, daß wissenschaftliche Untersuchungen zuträfen, wonach zwischen 70 bis 80 Prozent der Prostituierten in ihrer Kindheit oder Jugend Opfer sexuellen Mißbrauchs geworden seien. »Im Durchscnitt«, so Marwitz, »dauerte der sexuelle Mißbrauch durch Väter, Brüder, Großväter, Onkel oder Bekannte drei Jahre lang.« Die Psychologin glaubt, daß »die Prostitution für viele Frauen eine Art Überlebensstrategie« geworden sei und sie damit ihr »erlebtes Ohnmachtsgefühl umzukehren« versuchten. Die Erkenntnis »mit dem Körper Geld zu verdienen und sich den Täter selbst auszusuchen«, würde als ein Stück »Macht« erlebt.

»Für mich war es überwältigend, mitzubekommen, welcher Sturzbach an Gefühlen in den Gesprächen herauskommt, weil sich die Frauen endlich einmal auskotzen können«, berichtet Marwitz. Denn in der Regel sei es so, daß die Prostituierten keinen Ansprechpartner hätten und sich noch nicht einmal ihrem Arzt zu offenbaren trauten. Und wenn sie es doch einmal täten, käme unter Garantie als Antwort: »Hör erst mal auf mit der Prostitution, dann kann ich dir vielleicht helfen.«

Die Sozialpädagogin Ilona Hengst, die seit 15 Jahren in der Beratungsstelle tätig ist und dabei auch als Streetworkerin durch Salons, Bars und über den Straßenstrich zieht, schätzte die Zahl der Prostituierten in Berlin auf rund 2.000. Im Gegensatz zu anderen Städten sei das Betreuungsangebot für die Frauen in Berlin ausgesprochen gut. So könnten sich die drogenabhängigen Prostituierten zum Bespiel im Bereich Kürfürstenstraße in den Frauenladen Olga zurückziehen, oder in einen Laden in der Kurmärkischenstraße im Wedding. Die Schöneberger Gesundheitsstadträtin Eva Luber, befürchtete allerdings, daß diese Projekte demnächst auch der Mittelkürzung zum Opfer fallen könnten.

Als medienwirksamer Gast war die Hamburger Ex-Superhure Domenica zu der Pressekonferenz geladen worden. Domenica, die Anfang des Jahres endgültig aus der Prostitution ausgestiegen ist, und seither im Hamburger Rotlichtbezirk St. Georg als Sozialarbeiterin drogenabhängige Prostituierte berät, fordert die Politiker auf, mehr Geld für Beratungsstellen zur Verfügung zu stellen. Am besten sei es, wenn ehemalige Huren als Beraterinnen arbeiten würden, weil das Vertrauensverhältnis viel größer sei. »Wenn ich nachts unterwegs bin, ist es schon oft vorgekommen, daß binnen von Sekunden zehn Mädchen an mir rumzerren«, erzählte Domenica. »Die Situation der drogenabhängigen Mädchen in Hamburg ist so schlimm, daß ich das Gefühl habe, vom Regen in die Traufe gekommen zu sein«. Plutonia Plarre