Wols fürs ehemalige Feindesland

■ Das Institut für Auslandsbeziehungen zeigt seine Ausstellung »Wols — Photographie — Aquarelle — Druckgraphik« erstmals in Berlin (Ost)

Die Wols-Ausstellung, die in der »Galerie Friedrichstraße« des Ausstellungsdienstes Berlin zu sehen ist, wurde 1988 vom Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart präsentiert und wanderte anschließend durch mehrere englische und irische Städte. Anliegen der BRD-Kunstbehörde ist es, »deutsche« Kunst im Ausland bekannt zu machen.

Ein Programm, daß nun endlich auch auf — und vom ostdeutschen Boden aus bewerkstelligt werden kann. Hier war bisher keine Ausstellung der Staatsdiener in Sachen Kunst zu sehen, begriffen sie die DDR doch nicht als Ausland. Jetzt aber herrscht eitel Sonnenschein. Im Einladungsschreiben freut sich Barbara Barsch, die in der Übergangsregierung de Maiziére im Ressort für Kunst arbeitete und jetzt Leiterin der Berliner Filiale des Institutes ist, darüber, jetzt der Bevölkerung ohne staatliche Bevormundung bedeutende Kunstwerke präsentieren zu können. Eine Idealisierung der offiziellen Kulturpolitik der BRD, an der einiges nicht stimmt.

Die Arbeitsbedingungen von Frau Barsch und ihre Mitarbeiterin Carmen Lode, die die Galerie leitet, sind wenig berückend. Beide sind ausgebildete Kunst- und Kulturwissenschaftlerinnen, die an eigenverantwortliches Arbeiten gewohnt waren, wohingegen sich ihre Funktion heute auf die organisatorische Durchführung der Westkonzepte beschränkt. Zum Glück ist man im Moment noch bemüht, gegenüber den Stuttgartern Eigenständigkeit einzuklagen: Verstärkt will man Künstler aus der ehemaligen DDR — in diesem Jahr etwa Gerhard Altenbourg — und Tendenzen aus den alten osteuropäischen Bruderländern repräsentieren. Mehr als fraglich ist natürlich, ob für diese kritischen Vorhaben auch Westkohle zur Verfügung gestellt wird. Schaut man auf den derzeitigen Kahlschlag an Universitäten und die Schließung von Kommunikationszentren und Kunsthäusern in den Städten der FNL, ist dies wenig wahrscheinlich. Dabei wäre eine Kritik an den bisherigen Aktivitäten des Institutes für Auslandsbeziehungen mehr als notwendig.

Die Fragwürdigkeit beginnt schon mit der unvermeidlich dummen Etikettierung von Kunst als »deutsch«. Gegenüber Wols, einem der wenigen bedeutenden Künstler, die bisher vom Institut vorgestellt wurden, stellt sich dies als gewaltsame Vereinnahmung eines Exilanten heraus, der dem nationalsozialistischen Deutschland den Rücken kehrte und auch im Adenauer-Staat keine Arbeits- oder Lebensmöglichkeit für sich sah.

Bedeutende Ausstellungen von Wols alias Wolfgang Schulze (1913-1951) waren über Jahrzehnte nur im Ausland zu sehen. Die jetzige Wanderausstellung enthält zwar einige schöne Arbeiten des Künstlers, ist an einer umfassend angelegten Präsentation seines ×uvres aber nicht interessiert. Dies wäre im Gegenzug zu den kommerziellen Interessen des üblichen Galeriebetriebes indes einzig von Bedeutung. Statt dessen beschränkt man sich auf Exponate seines Arbeitens aus den vierziger Jahren und unterschlägt so die künstlerische Entwicklung von Wols.

Der Besucher sieht sich in den Kaltnadel-Radierungen mit Visionen konfrontiert, die als figürliche Darstellungen fragmentarisch bleiben: Kaum mehr erkennbare Physiognomien menschlicher und tierischer Körper verlieren sich in der Strichführung auf dem Zeichenblatt wie in Wüstenregionen. Isoliert man diese Graphiken von Wols Frühwerk, indem nicht die Auflösung des Figürlichen sondern eine Veränderung seiner konventionellen Darstellung gesucht wurde, erleichtert sich ein ästhetizistisches Mißverstehen. Ewald Rathkes Ausstellungskonzept intendiert dies. Er sieht in den Bildern die »Topografie einer illusionistischen Traumwelt« und betont, daß selbst dort, wo realistische Topoi verwendet sind, »eine große Distanz zur gesellschaftlichen Wirklichkeit« bestehe. Ganz anders Sartre, gegen den Rathkes Ausführungen polemisieren. In seinem großem Wols Essay Finger und Nicht-Finger zeigt Sartre, daß das Imaginäre der Bilder kein Fluchtpunkt ist, sondern in seiner Fremdheit auf durch das menschliche Bewußtsein Verdrängte und Ausgeschlossene aufmerksam macht.

An den Photographien wird die krude Umdeutung durch die Stuttgarter Ausstellung noch deutlicher. Rathke schreibt: »Als Wols in Paris Clochards fotografiert, interessieren ihn nicht die Lebensumstände dieser Außenseiter der Gesellschaft. Spannend ist für ihn das Zufällige des Aufenthaltes dieser Individuen.« Das Elend der Welt inspiriert große Kunst.

Wols Aufnahmen haben mit einem derartigen Unsinn zum Glück nichts zu tun. Stilistische Effekte sind vielmehr nur eingesetzt, um den alltäglichsten Elementen ihre unabänderliche Evidenz zu geben. Das abgelichtete Elend erschrickt gerade in seinem verzweifelten Festhalten an kleinen Gesten der Schönheit. Das Elend ist kein Traum — wozu auch. Thomas Schröder

Die Ausstellung des »Ausstellungsdienstes Berlin« ist bis zum 7. April in der Friedrichstraße 103 zu sehen. Wochentags (außer Montag) von 11.00 bis 18.00 Uhr am Wochenende von 11.00 bis 17.00 Uhr.