Huren sollen verbannt werden

■ Tiergartener BVV beschloß Sperrbezirk für Prostituierte im Süden des Bezirks/ Auch die AL war zuerst dafür/ Innensenator muß entscheiden

Tiergarten. Wenn es nach der Tiergartner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) geht, soll in Berlin erstmals ein Sperrbezirk für Prostituierte eingeführt werden. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat die BVV Tiergarten am 28. Februar mehrheitlich mit den Stimmen von SPD und CDU beschlossen, daß der südliche Bereich des Tiergartens in Zukunft für Prostituierte tabu sein soll. Betroffen wären davon Hunderte zum Teil drogenabhängige Frauen, die auf Berlins größtem Straßenstrich im Karree Landwehrkanal, Flottwell-, Potsdamer-, Bülow-, Kürfürsten-, Einemstraße und Lützowufer anschaffen gehen. Die Entscheidung über die Einführung eines Sperrbezirkes liegt beim Innensenator Heckelmann (CDU), der von dem Beschluß der BVV aber noch keine Kenntnis hat. Der Beschluß der BVV war gestern noch nicht vom Schreibbüro des Tiergartener Bezirksamts fertiggestellt.

Hintergrund des BVV-Beschlusses sind Beschwerden von Anwohnern und Eltern über unerträgliche Zustände im südlichen Tiergarten. Der Tiergartener Volksbildungsstadtrat Norbert Schmidt (CDU) begründete den Antrag gegenüber der taz mit sexuellen Übergriffen auf Schülerinnen und Schüler im Umfeld der Fritzlar-Homberg-Schule. Zwei Schülerinnen seien bereits Opfer sexuellen Mißbrauchs geworden. Daß die Täter nicht im Umkreis der Freier, Zuhälter oder Prostituierten zu suchen sind, weiß Schmidt zwar auch. Das Prostituiertenmilieu zöge jedoch »ausgeflippte Irre« und »sexuell Krankhafte« an.

Als weiteren Grund für den Sperrbezirk nannte Schmidt die auf Spielplätzen herumliegenden benutzen Spritzen drogenabhängiger Prostituierter und eine Zunahme der Beschaffungskriminalität. Dem Volksbildungsstadtrat zufolge wurde über den Antrag zuerst im Tiergartener Schulausschuß beraten. Nachdem der Antrag dort »mit Zustimmung der AL angenommen wurde«, sei er der BVV vorgelegt worden. »Erst in dieser Sitzung«, so Schmidt, »kippte die AL um und stimmte plötzlich dagegen«. Der Volksbildungsstadtrat räumte zwar ein, daß er auch Zweifel habe, ob die Probleme im Kiez mit einer Tabuzone zu lösen seien. Er trage den Beschluß aber trotzdem mit »Verve« mit. Von der AL war gestern weder von der Gesundheitsstadträtin Sabine Nitz-Spatz (AL) noch von den grünen Bezirksverordneten eine Stellungnahme zu erhalten.

Im Gegensatz zu anderen Großstädten der Bundesrepublik hat es in Berlin bislang nie einen Sperrbezirk für Prostituierte gegeben. Sollte Innensenator Heckelmann im Sinne der BVV entscheiden, würden in Zukunft alle Frauen, die auf dem altbekannten Straßenstrich angetroffen werden, polizeilich verfolgt und mit einem Ordnungsgeld belangt werden.

Die Prostituierten-Selbsthilfeorganisation »Hydra« bezeichnte den Beschluß gestern als Skandal. »Wir sind gegen jegliche Sperrbezirke in Berlin« erklärte eine Sprecherin. Die Einführung einer solchen Tabuzone würde bedeuten, den Frauen die »selbstbestimmten Standplätze« wegzunehmen. Damit würde nicht nur Konkurrenzverhalten geschürt, sondern auch die Kriminalität, die bislang »viel geringer« als in Westdeutschland sei. plu