Die Maus, die ein Löwe ist

■ „Die Sendung mit der Maus“ feiert am Sonntag um 11 Uhr ihren 20. Geburtstag

„Meine Tochter liebt sie...“ — Der Vater, der das sagt, schwärmt in den höchsten Tönen: Auch er sähe „sie“ gerne, immerhin gäbe es auch für ihn immer etwas zu lernen. Zudem sei sie „witzig“, „interessant“, „liebevoll gemacht“ und allemal besser als die Plattheiten aus der Sesamstraße. Überhaupt, wo man auch hinhört, die Sendung mit der Maus wird gelobt, gehätschelt und jetzt auch noch gefeiert — zwanzig Jahre alt wird der Käsefresser, der seit dem 7.März des Jahres 1971 gerade immer zum Zeitpunkt des sonntäglichen Kindergottesdienstes auf dem Bildschirm auftaucht, um die Kinder vom Beten abzuhalten und... um ihre dringlichsten Fragen zu beantworten: Johannes will wissen, wie das Ei aus der Henne herauskommt, und Christine interessiert nichts mehr als dieses halbtote Gewässer mit Namen „Nordsee“: Wie kommt bloß das Salz da rein? Die „komische, witzige, pfiffige, raffinierte, hilfsbereite... Maus“, so jedenfalls die Charakterisierung ihres „Bändigers“ Friedrich Streich (Zeichner), dieses orange-braune Mausevieh also klappert kurz mit seinen Augenlidern, linst zu seinem Partner, dem „kleinsten blauen Elefanten der Welt“ hinüber und überläßt dem „Maus-Team“ (Siegmund Grewenig, Lucia Kreuter, Armin Maiwald, Christoph Biemann u.v.a.m.) von WDR, SWF und SR die Antwort.

Wie sollte sie selbst auch Antworten auf all die Fragen geben — sie ist stumm. Seit über zwanzig Jahren übt sie sich im „Tao“ des Nonverbalen und träumt nach der Sendung von „Pooh“, dem Bären, dem alten Taoisten, der immer so einfache verbale Antworten auf alles wußte. Nur: Pooh gab seine Antworten im Buch mit der Gelassenheit eines Bären — die Maus hingegen ist ein Fernsehstar. Ihre Dramaturgen ließen sie verstummen, weil ihr TV-flimmernder Körper für sich spricht. Oder besser: Mausens Körper spricht die „leibhaftige“ Sprache ihres Zeichners Streich: „Bei der intensiven Beschäftigung mit der Figur habe ich mich schon dabei erwischt, daß ich mich beim Entwerfen eines mimischen Ausdrucks ganz in die Maus versetzte. So wie ein Regisseur emotional mit seinen realen Schauspielern mitgeht, habe ich beim Zeichnen unbewußt mein Gesicht verzogen und so den Gesichtsausdruck der Maus physisch nachempfunden, um ihn besser zeichnen zu können. Wenn mich jemand bei meiner Arbeit beobachtet und meine Grimassen gesehen hätte, wäre er bestimmt der Meinung gewesen, ich sei übergeschnappt.“ Da haben wir's also: Nicht das „Kind im Manne“ gestaltet die Mäusesequenzen, es ist die „Maus im Zeichner“, die er letztendlich aufs Papier bringt.

Dabei ist die Maus ja längst nicht alles. Auch nicht die „Lachgeschichten“. Nein, die „Sachgeschichten“ machen die Sendung mit der Maus komplett. Sachgeschichten zu Tieren, Arbeitsprozessen oder zu Chemie und Physik, die im liebevollen Schulfunkstil vermittelt werden. Da bleiben Fragen offen, mitunter auch der Mund, vor lauter Staunen: Gerade deshalb ist die „Maus“ auch keine Sendung, vor der man die Kinder „absetzt“ und sich selbst überläßt. Denn eines ist die Mäuseshow trotz allen Lobes immer noch: im wesentlichen Fernsehen. Da gibt es keinen Dialog, Bildröhre und Lautsprecher korrespondieren höchst einseitig mit dem Kind. Die Realität ist eine künstlich vermittelte, auch wenn sie längst oftmals stundenlanger „Alltag“ ist. Da nützt es auch nichts, wenn WDR-Tagesprogrammchef Gert K. Müntefering jubelt, mit der Kreation der Maus im Jahre 1971 hätten die Pädagogen ihre „ungetrübte Fernsehfeindlichkeit“ ablegen müssen. Aber wohldosiertes Fernsehen muß für Kinder mit dem Erlangen von „Kompetenz“ verbunden sein, und die ist abhängig vom Dialog mit dem Erwachsenen, dem ständigen. Und, wie gesagt, von einer verträglichen Dosis.

Also nichts gegen diese halbe Stunde am Sonntag vormittag: Selbstverständlich ist die „Maus“ der „Löwe“ unter den Kindersendungen des Fernsehens. Über 800 ausgestrahlte Sendungen mit zuletzt 1,9 Millionen Zuschauern belegen das. Gleichzeitig ist die hohe Akzeptanz der „Maus“ aber auch der Tatsache geschuldet, daß niveauvolle Unterhaltung für Kinder im deutschen Fernsehen Mangelware ist. Kinder ernstzunehmen, das würde Geld kosten — und selbst aus „Mäusekreisen“ ist zu hören, daß man sich, angesichts des Konkurrenzdrucks massenhaft verblödender Materialien auf anderen Kanälen, um die „Zukunftssicherung“ sorgen müsse. Die Fernsehgewaltigen seien hiermit vor einer Absetzung des Nagetiers eindringlich gewarnt und aufgefordert, im Gegenteil noch Besseres als die „Maus“, eine „Katze“ vielleicht, zu entwickeln und Kinder nicht länger als „Randgruppe“ für den (v)erwachsenen Medienalltag zu konditionieren: Das Beste, was Fernsehen den Kindern vermitteln kann, ist rechtzeitig den Knopf zum Ausschalten zu finden. Die „Maus“ können sie dann ja wieder einschalten. Detlef Berentzen