SCHARF UND SORGLOS

■ "Thailänderinnen, schützt Euch vor den Sextouristen!"

„Thailänderinnen, schützt Euch vor den Sextouristen!“

VONJÜRGENHAMMELEHLE

Ein Jahr nach der Veranstaltung „Tourismus — Prostition — Aids“ war auf der ITB wieder ein Podium zu diesem Thema angesagt. Nicht die AG Tourismus mit Einsicht hatte sich wie in den vergangenen Jahren diesem Themenkreis angenommen, keine Vertreterinnen aus den betroffenen Ländern waren geladen, sondern drei männliche Experten aus den Bereichen Tourismus und Aids- Forschung präsentierten die Ergebnisse einer Studie über Sextourismus und Aids. Das Sozialpädagogische Institut Berlin und das Institut für Tourismus der Freien Universität Berlin hatten 152 deutschsprachige Sextouristen in Thailand befragt, um ihre Beweggründe und ihr Verhalten vor Ort zu erforschen.

Im ersten Teil der Veranstaltung wurde wissenschaftlich „zäh“ präsentiert. Eine Folie nach der anderen wurde auf dem Tageslichtprojektor gelegt: über Methodik, Touristenströme und Aids-Ausbreitung. Edgar Kreilkamp vom Institut für Tourismus präsentierte die quantitative Dimension der deutschen Sextouristen. Nach seinen Schätzungen müßten 40.000 bis 60.000 Männer der jährlich 180.000 Thailandtouristen als Sextouristen eingestuft werden. „Zwei Drittel dieser Sexreisenden sind Individualtouristen, die überwiegend allein oder mit wenigen Freunden reisen“, führte er aus. Die 30 bis 49jährigen Männer seien am stärksten vertreten, die meisten unverheiratet oder geschieden, so die Erkenntnisse aus der Befragung.

Richtig spannend wurde die Veranstaltung erst, als die wissenschaftliche Methodenerklärung überstanden war. „Thailand ist ein Aids-Importland, anders als Kenia“, sagte der Projektleiter der Studie, Dieter Kleiber. Die Frauen in Thailand werden sich erst bei der Risikogruppe Sextouristen infizieren, bevor die ersten Rückinfektionen der Männer erfolgen wird. Die Sextourismusforscher kamen bei ihrer Studie zu dem Schluß: Je privater das Milieu, desto weniger Kondome werden gebraucht. Da die deutschen Männer in Thailand mit „ihren“ Frauen meist mehrere Tage lang zusammen seien, ergäbe sich ein sehr persönliches Verhältnis, das dazu verleite, kein Kondom zu benutzen. 40 Prozent der deutschen Männer gaben bei der Befragung an, daß sie sich in eine thailändische Frau verliebt hatten. Der Aids-Experte nannte deshalb den Aids-Risikofaktor „Liebe“ und sprach sich für die Professionalisierung der Prostituierten aus, da bei professionell arbeitenden Prostitutiierten die Freier von einer Kondombenutzung ausgehen. „In Deutschland bnutzen 80 Prozent der Prostituiertenbesucher Kondome, in Thailand dagegen gaben nur etwa ein Drittel der Befragten an, daß sie konsequent Kondome benutzt hätten, etwa die Hälfte der Befragten sagte aus, daß sie sich nicht schützen“, resümierte Kleiber und mahnte: „Thailänderinnen, schützt Euch vor den Touristen!“

Besonders verständlich wird dieser Aufruf, da die Forscher die von ihnen befragten Sextouristen als Wiederholungstäter bezeichneten: „Sie reisen nicht nur nach Thailand, sondern auch in andere Sextourismuszentren wie etwa nach Kenia oder nach Brasilien und hätten auch häufig Kontakt zu Prostituierten in Deutschland.“

Die befragten Freier im Alter zwischen 20 und 76 Jahren konnten sich bei der Studie auch selbst einschätzen. Dabei zeigte sich, daß sie ihr Verhalten wenig hinterfragen und sich nicht so sehr als „Verlierer“ oder „Playboy“-Typen, sondern eher als „Vaterfiguren“ oder „Lonesome-Rider“ (Eigenbrötler) bezeichnen, die sich eine treue Gefährtin wünschen. So sah auch das Idealbild des thailändischen Mädchens aus, nach dem sie befragt wurden: bescheiden, charmant, lustig, mädchenhaft und klein.

Die Vorschläge, die Projektleiter Kleiber aufgrund der Studie machte, sind angelehnt an die Empfehlungen der Enquete-Kommission des Bundestages zu Gefahren von Aids und ihre Eindämmung: Vor allem schlägt die Forschungsgruppe eine Zusammenarbeit von Forschern, Kritikern und Reiseunternehmen vor, um die Problematik des Sextourismus und seiner Werbung anzugehen. Kleiber lehnte eine Stigmatisierung der Touristen ab, möchte sie aber in die Verantwortung nehmen, genauso wie die Reiseunternehmen. Bei der hohen Zahl von Individualreisenden sei es notwendig, daß auch die Reisebüros und die Fluggesellschaften Verantwortung übernähmen.

Bei den Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum gab es die Besserwisser, die in Thailand alles ganz anders erlebt und gesehen hatten. Ernstzunehmen war die Frage, ob die Aussagen der Männer wirklich wahrheitsgetreu eingeschätzt werden können. Heikle Punkte in so einer Untersuchung könnten sicher die Fragen nach dem Familienstand, aber auch die Frage nach dem Alter der thailändischen Mädchen sein: Welcher Mann gibt schon gerne zu, Geschlechtsverkehr mit einem dreizehnjährigen Kind gehabt zu haben und damit nach deutscher Rechtsprechung eine strafbare Handlung begangen zu haben? Und gerade die Kinderprostitution nimmt in Thailand auch aus Angst vor Aids zu, wie andere Forschungen zeigen.

Positiv aufgefallen war die Anwesenheit von renommierten Fachleuten und Forschern, die die Ernsthaftigkeit der Lage endlich wahrzunehmen scheinen. Auf vorherigen Veranstaltungen von entwicklungspolitischen Gruppen glänzte dieser Teil der Fachwelt meist durch Abwesenheit. Wird dieses Thema von manchen Fachleuten erst jetzt diskutiert, weil die Gesundheit von deutschen Sextouristen und deren Frauen und Freudinnen hier in Gefahr ist?