Luxemburg: Es bleibe Licht!

■ Zwischenbericht der Forschungsarbeit des Glühbirnenprojekts „'Bild‘ kämpft für Narva“

Allah ist das Licht des Himmels und der Erde. Sein Licht gleicht einer Nische, in der sich eine Lampe befindet; die Lampe ist in einem Glase, und das Glas gleicht einem flammenden Stern. Es wird angezündet von einem gesegneten Baum, einem Ölbaum, weder vom Osten noch vom Westen, dessen Öl fast leuchtete, auch wenn es kein Feuer berührte — Licht über Licht.“ So steht es im Koran. Bei Wolfgang Schivelbusch, in seiner „Geschichte der künstlichen Helligkeit“,Lichtblicke, heißt es an einer Stelle ganz ähnlich: „Der Glaszylinder, in dem die Flamme eingeschlossen war, präludierte den Glasmantel der Glühbirne; der Dochtmechanismus den Lichtschalter; die Flamme, die durch die erhöhte Sauerstoffzufuhr so sehr in ihrer Lichtintensität gesteigert war, den Glühfaden.“ Besonders das „präludierte“ hat etwas — von einem „flammenden Stern“, aber auch noch von einem „gesegneten Ölbaum“.

In der dumpf eurozentristischen Zeitschrift 'Lettre‘ drängte sich denn auch neulich einem Autor prompt die Frage auf, warum diese komischen Kameltreiber da unten dann nicht gleich die Glühbirne erfunden haben? Er, Harry Mulisch, (in 'Das Licht‘, Heft 11) hatte lange darüber nachgedacht und war zu dem Schluß gekommen: „Nicht nur die Quantenmechanik, auch die klassische Mechanik liegt nicht im östlichen Erbgut begründet. Wenn sie irgendwo begründet liegt, dann stammt sie aus dem philosophisch-theologischen Erbgut derjenigen, die die klassische und die moderne Physik tatsächlich aufgestellt haben — und das sind wir, aus der westlichen Welt.“ Schon für Schivelbusch war die Glühbirnenerfindung — selbstredend, möchte man hinzufügen — ein geradezu zwingendes Resultat der europäischen „Aufklärung“.

Vorgekaut worden war ein solcher Gedankengang bereits bei Ernst Bloch, der die Glühbirne gar für aufklärungskräftiger als etwa Voltaire hielt, weil sie „das Grauen aus den Schlupfwinkeln der äußeren Dunkelheit selbst vertrieben hat und nicht nur aus der des Kopfes.“ Schivelbusch fügte dem dann nur noch den Nachweis hinzu, daß die Beleuchtung der öffentlichen Straßen, Plätze und so weiter immer schon Herrschaftssicherung bedeutete — weswegen die gegen die Zentralgewalt Revoltierenden — in Paris zum Beispiel — den Adel am liebsten an seinen eigenen Machtsymbolen aufhängten: „laternisierten“.

Neuerdings wird diese so einleuchtende These von Lucius Burckhardt bestritten: mit zeitgenössischen Karikaturen, auf denen Aristokraten und Klerikale gerade als diejenigen dargestellt werden, die sich gegen den Fortschritt, die Aufklärung, stemmen, indem sie das Licht — der Straßenlampen uns anderes — löschen.

Illustration des Bösen

Heutzutage hat sich dieser ganze Komplex aber sowieso nochmal gedreht. Nicht nur, daß die gegen die staatliche Elektrizitätsgesellschaft des Libanon kämpfenden privaten Stromversorgungsfirmen sich „Dschihad Electric“ (Elektrischer Heiliger Krieg) nennen, in der Frankfurter 'FAZ‘ gibt es zum Beispiel einen Karikaturisten namens Ivan Steiger, der Monat um Monat, Jahr um Jahr den alltäglichen propagandistischen Kampf seiner Chefredaktion gegen das Böse mit Glühbirnen illustriert: Während der Gorleben-Auseinandersetzungen hockte ein Grüner auf den Schultern eines Sozis und hieb mit einer dicken Steinzeitkeule auf eine kleine atomstrombetriebene Glühbirne ein; während der Wende in der DDR schraubte ein bärtiger Bündnis-90-Christ eine ausgebrannte SED-Birne raus, während ein hilfsbereiter Wessi grinsend mit einer neuen ankam, die das Gesicht von Kohl hatte. Sehr komisch. Manchmal dreht Steiger auch völlig durch und zeichnet nur noch wirre Glühbirnen — ohne jeden aktuellen oder politischen Bezug.

Dann verstehen wir uns. Denn auch uns geht es eigentlich um die reine Glühbirne, wenn man so sagen darf. Reine Glühbirnengeschichten sind aber schwer zu bekommen, ihr Gegenstand hat eine sehr hohe Ankopplungsfähigkeit und ist zu überdeterminiert, schon allein durch die ganze Lichtmetaphorik. Dann auch noch der momentane Ost-West-Konflikt (zwischen „Schwertlilien“ und „Lichtphysik“) sowie der ewig verdunkelte Widerstand des Mobs gegen die helle Elite, der mit hineinspielt, wobei nicht einmal die Geschlechtsneutralität gewahrt bleibt: Wie Gerburg Treusch-Dieter aufgrund der Uterusform nachwies, ist die Glühbirne „weiblich“. Das Weibliche wiederum, genauer gesagt: Die Frau-Haut bzw. „das Weiße der Frau-Haut“ ist, laut Lyotard, in Amerika „das Licht“.

Daran läßt sich nun der Fakt ankoppeln, daß Edison den Filmprojektor erfand, der argentinische Regisseur Birri die Babelsberger Filmschaffenden neulich mit „Werktätige des Lichts“ ansprach und die Berlinale wegen des „Irren aus Bagdad“ schwer unter dem Mangel an weiblichen US-Stars zu leiden hatte. Damit hat man dann ein weiteres „weites Feld“ (Fontane) betreten — die Unsterblichkeit; auf die Glühbirne bezogen: ihre „Brenndauer“. Am 24.12.1924, „ausgerechnet zum Fest des Lichts“, wie Rolf Schwendter schreibt, beschloß das internationale Glühbirnenkartell, in der Schweizer Firma Phoebus S.A. zusammengefaßt, die Lebensdauer aller Glühbirnen auf der Welt von „5.000 auf 200 Stunden“ zu verringern.

In den dreißiger Jahren wurde Osram führend im Kartell. Schon 1929 hatte der Konzern in seinem kurz zuvor fertiggestellten „Lichthaus“ am Warschauer Platz in Berlin, zwischen Oberbaum- und Warschauer Brücke, eine zentrale „Prüfstelle für Lebensdauer“ eingerichtet.

Nach der dunklen, im marxistischen Sinne „Vorgeschichte der Glühbirnenproduktion“ dort, die mit Arisierungen, Zwangsarbeit und schließlich mit der Himmler-Verordnung, keine Glühbirnen mehr an die Zivilbevölkerung abzugeben, endete, begann nach 1945 an derselben Stelle das „Berliner Glühlampenwerk Narva“ im „Kombinat Rosa Luxemburg“ (Lux = Licht) seine sozialistische Produktion aufzunehmen. Wie uns unlängst der Pressesprecher von Narva, Dr. Liewald, erzählte, ging es den Betriebsingenieuren weniger darum, die heute international übliche 750- bis 1.000-Stunden-Brenndauer von Glühbirnen zu überbieten, als darum, ihren Energieverbrauch zu senken.

Auch das gelang ihnen in den letzten 40 Jahren nicht sonderlich befriedigend. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Glühbirne im Sozialismus noch einmal überdeterminiert wurde: Das beginnt mit Lenins Formel „Sowjetmacht plus Elektrifizierung des Landes = Kommunismus“, geht über Majakowskis Gedicht Ich, Herr der Glühbirnen und endete — vorläufig jedenfalls — mit Egon Krenz' Versprechen in einer Rede vor Narva-Arbeitern, fürderhin alles „noch besser machen“ zu wollen.

Ein paar Monate später besprach der Kombinatsdirektor Dr. Wulff schon mit seinen Westberliner Kollegen bei Osram erste Joint- venture-Pläne. Weil die Belegschaft den „Ausverkauf unserer Lampe“ befürchtete und ihre Betriebsgewerkschaftsgruppe als zu lahmarschig einschätzte, wurde ein „gesellschaftlicher Rat“ gewählt, der Mitbestimmung bei den Osram-Verhandlungen forderte und sich mit dem Osram-Betriebsrat zusammensetzte. Mit der Währungsunion brachen der Narva „sämtliche Märkte weg“ (die bis dahin für 20 Pfennig verkauften Glühbirnen hatten 98 in der Herstellung gekostet). Es wurden die ersten Mitarbeiter entlassen bzw. in den Vorruhestand geschickt. Durch westliche Lieferverträge gebunden, nahm bald auch der DDR- Einzelhandel keine Narva-Birnen mehr an. Der stellvertretende Geschäftsführer Sommer löste den Kombinatsdirektor ab.

Treuhand läßt Berger Narva begutachten

Bei der Treuhand wurde der einstige stellvertretende Minister für Elektroindustrie Schulz der für Narva zuständige Manager. Er konnte fortan ohne den lästigen gesellschaftlichen Rat mit Osram verhandeln. Ein freier Mitarbeiter der Deutschen Bank, Roland Berger, der zuvor schon gutachtermäßig die DDR-Fischereiflotte versenkt hatte, erstellte für 150.000 DM ein „Sanierungskonzept“ für Narva. Innerbetrieblich beriet ein österreichischer Senior, und ein Philips-Manager aus Hamburg beabsichtigte, für 40 Millionen einen Einzelhandelsvertrieb bei Narva aufzubauen.

Vor einer Betriebsversammlung im Spätherbst ging eine Bombendrohung bei der Geschäftsführung ein. Von Osram kam eine Maschinenreihe zur Herstellung der sogenannten „Energiespar-Lampen“ (Dulux), die bei Narva bis dahin quasi per Hand hergestellt worden waren. Das einstige Kombinat sollte dafür aber eine japanische Glühbirnen- Produktionsstrecke hergeben, da es nicht mehr liquide war und auch seine Grundstücke nicht mehr beleihen konnte, weil da die Treuhandanstalt ihre Hand draufhielt. Es zeichnete sich immer deutlicher ab, daß die Deutsche Bank den Narva-Geschäftsführer Sommer zum Besitzer pro forma machen wollte, damit der den gesamten Betrieb „abwickele“ und die Bank dann in den Besitz des Grundstücks, idyllisch zwischen Spree und den Gleisanlagen des Warschauer Bahnhofs gelegen, käme.

Das war der Zeitpunkt, da wir, als eher kontemplative Glühbirnenforscher, ein freies ZDF-Team für diesen Stand der Dinge bei Narva interessieren konnten. Und die machten sich auch sogleich — sehr professionell, „austmäßig“ gar (von der Mainzer Zentrale angestachelt) ans Werk: mit wilden Schwenks und zähem Dranbleiben. Sogar Walter Momper, dem damaligen Bürgermeister, rangen sie ein Statement ab: „Die Treuhand, das ist die Fortsetzung des ZK mit anderen Mitteln.“

Als der Film fertig war, erwirkten der Narva-Geschäftsführer und der Treuhandpressesprecher über seinen Kumpel Bresser bei der ZDF- Rechtsabteilung ein Ausstrahlungsverbot. Beide konnten sich aber nicht lange über ihren Papyrussieg freuen, denn kurz darauf schlug der österreichische Seniormanager (als Berater von Narva) zurück: und zwar beim Leiter der Außenstelle des Kanzleramtes in Berlin, dem jetzigen Chef der Senatskanzlei, Volker Kähne.

Dieser sorgte dann anscheinend dafür, daß sowohl der Elektrofunktionär bei der Treuhand, „Bürstenschulz“, als auch der dortige Pressesprecher abgelöst und außerdem der Narva-Geschäftsführer, als kurzer Sommer der Anarchie, von zwei Westmanagern abgelöst wurde. Gleichzeitig wurde das mittlerweile — der 'Spiegel‘ würde sagen: „marode“ — Werk dem renommierten international operierenden Betriebsverscherbelungs-Clan Price-Waterhouse angetragen: Bei einem Reinerlös von 200 Millionen würden sie 40 für ihren, nach eigener Darstellung (durch Herrn Krieger) nahezu selbstlosen Einsatz einstreichen.

Der Top-Firmenfilettierer versprach bei einem ebenso exquisiten wie exklusiven Arbeitsessen, von dessen Erlös man schon allein eine Narva-Abteilung hätte sanieren können, daß Price-Waterhouse es nicht zulassen werde, daß ein „zukünftiger Partner“ sich nur die Rosinen aus diesem Produktionsanlagenkuchen herauspicke. Dafür benutzte er ein englisches Wort, das sich so ähnlich wie acid-stripping anhörte. Anschließend mußten sich alle Beteiligten schriftlich verpflichten, nichts über das Round-table-Gespräch nach außen verlauten zu lassen.

Mit von der Partie war auch die Berliner Commerzbank gewesen. Sie hatte anscheinend nicht nur ein Grundstücksinteresse, denn sie vertrat dort gleichzeitig eine kleine Kreuzberger Glühbirnenfabrik, die gerade von Osram gezwungen worden war, ihren Namen „Vilux“ in „Vilum“ zu ändern, um eine Verwechslung mit den „Bilux“-Lampen von Osram auszuschließen. Abgesehen von einer Prozeßandrohung hatte Osram (eine 100prozentige Siemens-Tochter) „Vilum“ auch in puncto Halbfertigteilelieferung boykottiert (ebenso später übrigens auch Narva).

Den Kreuzberger und den Friedrichshainer Glühbirnenherstellern kam dann allerdings der Umstand zugute, daß Tungsram (Budapest) von General Electric aufgekauft wurde und die GE von vorneherein gegen die Interessen der beiden europäischen Monopolkonzerne Osram und Philips operierte — und also Narva und Vilum mit Bulbs, Getterpaste, Wendel etc. belieferte. Über diesen Umweg kam der Kreuzberger Unternehmer mit den Friedrichshainer Geschäftsführern in Kontakt. Und wenig später ließ er seine Glühbirnen schon bei Narva produzieren.

Die Forschungsgruppe, also wir, sprachen mit dem — übrigens nicht Kreuzberger, sondern Weddinger — Dieter Binninger. Er war auch der Erfinder der Mengenlehreuhr am Ku'damm Ecke Uhlandstraße, über die 1976 die 'Bild-Zeitung‘ geschrieben hatte: „Sie kann eine Menge: Nur nicht laufen — sie ist schon wieder kaputt!“ Bei der über beleuchtete Felder die Zeit anzeigenden Uhr brannten ganz einfach laufend die Glühbirnen durch. Und dafür war ihr Erfinder Binninger verantwortlich, den die Reparatur immer wieder viel Zeit und Geld kostete. Von Siemens ließ er sich deswegen Ampel-Glühbirnen reinschrauben — aber die hielten auch nur rund 1.000 Stunden.

Allein in Berlin verdient Osram jährlich Millionen mit seinen Ampelglühbirnen-Auswechsel-Teams, die permanent unterwegs sind. Binninger machte sich mit seinen Mitarbeitern an die Entwicklung einer „Langlebensdauer-Glühlampe“. 1980 wurde das Patent dafür angemeldet. Bei der Offenlegung gab es etliche Einwendungen dagegen (unter anderem auch von Osram). Um sie zu entkräften, bekam Binninger argumentative Hilfe vom Vorsitzenden des Westberliner Erfinderverbandes. Getestet wurde seine Birne dann in den „Lichtlabors“ der Bewag.

Die Technische Universität, von Osram finanziell abhängig, bat den Erfinder, seine Arbeit an diesem Problem einzustellen. Nunmehr wird Binningers Langlebensdauerglühlampe auch von Flughäfen und großen Hausverwaltungen schon seit langem im Gebrauch getestet. Die Birnen halten 150.000 Stunden. Das sind bei täglich zehnstündiger Brenndauer über 40 Jahre — also länger, als die DDR existierte. Sie kosten 4.55 DM ab Werk und sind durchaus vererbbar.

Binningers Angebotspalette beginnt dort, wo das Glühbirnenkartell 1924 in der entgegengesetzten Richtung anfing, tätig zu werden: bei der 5.000-Stunden-Brenndauer. Nichtsdestotrotz wurde seine Erfindung vom Senat als „volkswirtschaftlich wertvoll“ eingestuft und das Umweltbundesamt prüft gerade, ob ihr der „Blaue Engel“ verliehen werden soll.

Schon gibt es einen Patentdieb in den USA, der den Slogan für Energiesparlampen „Tut uns leid, Mr. Edison“ — mit dem Spruch kontert: „Das Größte seit Edison“. Dies ließe sich leicht deutsch korrigieren: „Das Größte seit Goebel.“ Der gescheiterte 48er-Revolutionär aus Springe hatte seinerzeit in einem New Yorker Patentrechtsprozeß gegen Edison, in dem es um die Ur-Glühbirne ging, obsiegt. Leider starb Goebel kurz darauf. Aber darum geht es gar nicht. Ulrich 'Zeit‘ Greiner schrieb einmal in einem Interview mit Hans Magnus Enzensberger: „Enzensberger stand auf, um Licht zu machen, die eine Birne war kaputt. Enzensberger holte eine neue und schraubte sie ein.“ Und so weiter. In einem anderen Interview, mit Erich Fried, kamen wir auf diese Bemerkung Greiners zu sprechen. Fried sagte: „Unmöglich, das muß der Greiner sich ausgedacht haben. Enzensberger ist technisch so unbegabt, daß der nicht einmal eine Glühbirne selber einschrauben kann.“

Leider ist Erich Fried mittlerweile gestorben. Er besaß ein Glühbirnenpatent, die „Sockelfestigkeit“ betreffend, das Osram ihm später entwendete, im Zusammenhang ihrer „Übernahme“ der jüdischen Wiener Glühlampenfabrik „Orbis“. Zur fast unsterblichen Glühbirne meinte er, daß sie zwar machbar, aber nicht erwünscht sei. „Leider nicht mal im Sozialismus.“ Und das sei „das Komische“. 'Bild‘ kämpft für Narva

P.S. Am 27. Februar, einen Tag vor dem Auslaufen der Angebotsfrist, gab Binninger gemeinsam mit der Commerzbank das Angebot bei Price-Waterhouse ab, Narva zu übernehmen. Am 5. März stürzte der Erfinder zusammen mit seinem Sohn und einem angestellten Ex-NVA-Piloten mit dem eigenen Flugzeug bei Helmstedt tödlich ab. Die Ursache ist noch ungeklärt; die Kripo ermittelt.