Mubarak fürchtet den Frust der Massen

Für viele Ägypter bleibt die Teilnahme an einem Krieg gegen ein arabisches Brudervolk eine Schande/ Beobachter erwarten heftige soziale Konflikte wegen einschneidender Auflagen des Internationalen Währungsfonds  ■ Aus Kairo Hal Wyner

In der Woche des kurzen Bodenkriegs am Golf lief im staatlichen ägyptischen Fernsehen über mehrere Tage ein Dokumentarfilm über Muhammed Ali — nicht etwa den großen Pascha, der Anfang des 19. Jahrhunderts das Land von den Mameluken befreit hatte, sondern den amerikanischen Boxer, der in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts die Herzen am Nil erobert hatte und eine Popularität erreicht, die nur von Gamal Abdel Nasser selbst übertroffen wurde. Welche Absicht hinter dieser Programmwahl stand, läßt sich schwer eruieren. Vielleicht gar keine. Dennoch hätte sie nicht passender sein können. Nach dem enttäuschenden Kampf in Kuwait wollten die Ägypter mal einen echten Helden sehen.

Niemand in Ägypten hatte erwartet, Saddams Armee würde die von Bush aufgestellte schlagen können. Das K.o. in der ersten Runde hat dennoch schockiert. Die streng kontrollierten Medien im Land hatten das Volk von den Bildern der Zerstörung im Irak während des Luftkriegs verschont. In ihren Berichten über den Bodenkrieg konzentrierten sie sich auch mehr auf den glorreichen Sieg der Koalition, an der Ägypten sich beteiligt hatte, als auf die erneut so demütigende Niederlage einer arabischen Armee. Ein Bild sickerte jedoch durch: als das amerikanische Nachrichtenmagazin 'Newsweek‘ die Kiosks erreichte, blieben Passanten vor dem Titelbild des US-Soldaten, der einen irakischen Kriegsgefangenen zum Boden drückte, stehen. Unter Kopfschütteln sagten sie dann immer wieder dasselbe Wort: „Haram, Haram“ — eine Schande, eine Schande.

Für die ägyptische Regierung war das unverhofft schnelle Ende des Golfkriegs freilich wie eine Erlösung gerade rechtzeitig gekommen. Seit dem Ausbruch der Golfkrise anfang August letzten Jahres hatte der interne Sicherheitsdienst, der „Mukhabarat“, Überstunden gearbeitet, um sämtliche Zeichen von Opposition zur Teilnahme Ägyptens in der Koalition gegen Irak im Keim zu ersticken. Palästinenser, Jordanier, Tunesier, Jemeniten und Sudanesen wurden Massenweise als Sicherheitsrisiken aus dem Land geschafft. Hunderte von Aktivisten islamischer Gruppen, wurden — oft erst nach Schießgefechten mit der Polizei — unter Notstandsgesetzen verhaftet. Aus Angst vor dem selben Schicksal hatten die sich ohnehin schwachen und schlecht organisierten oppositionellen Parteien im Land meist nur zurückhaltend gegen die Regierungspolitik geäußert.

Den Vorkehrungen der Regierung zum Trotz, war es mit der Eröffnung des Bodenkriegs in Kuwait dennoch an fast allen Universitäten Ägyptens zu großen — von linken und nasseristischen Gruppen organisierten — Protestdemonstrationen gekommen, die nur mit Gewalt unterdrückt werden konnten. In Kairo kam ein Student dabei um, und Gerüchte, daß die Zahl der getöteten höher liege, drohten, die Sympathien der Massen auf die Seite der Demonstranten umschlagen zu lassen. Mit dem Ende des Kriegs wurde jedoch auch diese Gefahr gebannt, denn auf einmal gab es nichts mehr, wogegen es sich protestieren ließ.

Die Regierung scheint dennoch keine Risiken eingehen zu wollen. Vergangene Woche wurde die Urteilsverkündung im Prozeß gegen Khaled Gamal Abdel Nasser, Sohn des ehemaligen Präsidenten, und 19 andere, denen vorgeworfen wird, Terrorangriffe gegen israelische und amerikanische Diplomaten verübt zu haben, wegen der herrschenden „Sicherheitsumstände“ bis auf den 2. April vertagt. Bis dahin sollen sich die Gemüter im Land wieder beruhigt haben.

Inwieweit dies tatsächlich der Fall sein wird, sagt Hussein Abdel Rasik von der oppositionellen Progressiven Union, wird weitgehend von der wirtschaftlichen Lage im Land abhängen. Die vom Internationalen Währungsfonds erzwungene Entscheidung der Regierung von Ende Februar, eine radikale Währungsreform einzuführen, werde Ägypten in eine wirtschafltiche Krise führen, wie sie das Land noch nie gekannt hat, meint Abdel Rasik. Unter solchen Umständen, sei „alles möglich“. Al-Sa'id Al-Mallach, von der Sozialistischen Arbeitspartei glaubt ebenfalls, daß die ägyptischen Massen, die zu den ärmsten der arabischen Welt zählen, eher wegen Brot als Politik auf die Straßen gehen würden. Eine mögliche Rettung für das Mubarak-Regime sieht er jedoch aus Kuwait kommen. Denn obwohl die meisten Verträge für den Wiederaufbau schon an amerikanische und europäische Gesellschaften vergeben wurde, werden die einfachen Arbeiter, wie gewohnt, vermutlich aus Ägypten importiert werden.

Der avantgardistische ägyptische Schriftsteller Eduar Al-Kharrat, der als Mitglieder der revolutionären Bewegung gegen König Fabruk in den 40er Jahren zwei Jahre in einem Internierungslager saß, wagt keine Prophezeihung. Wenn das Ausmaß der Zerstörung im Irak den Ägyptern bekannt wird, glaubt er, wird dies viele fragen lassen, ob ihr Land auf der richtigen Seite stand. „Keiner kann sich hier freuen, wenn er die reichen Kuwaitis in den Straßen feiern sieht oder die Bilder der irakischen Gefangenen in ihrer Unterwäsche sieht. Aber die Ägypter sind ein seltsames Volk, man weiß nie im voraus, wie sie auf etwas reagieren werden“, sagt er. „Viele Intellektuelle hier hatten geglaubt, daß Saddam ein Wunder vollbringen würde. Sie wußten, was er ist, und niemand liebte ihn. Aber er hatte zumindest gewagt, sich gegen die westliche Herrschaft hier aufzustellen. Das war natürlich sehr naiv gedacht, aber zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte man wieder eine Hoffnung gesehen, daß sich ein Weg aus der Misere öffnen würde. Jetzt allerdings sieht die Zukunft eher düster aus.“