Saddam soll sich Volkswillen beugen

Protestbewegung im Irak löst Befürchtungen über den Zerfall des Landes aus/ Berichte über Angebote an Schiitengruppen und Kurden, sich an der Regierung in Bagdad zu beteiligen  ■ Von Beate Seel

Fünf Tage nach Beginn der Proteste gegen Saddam Hussein macht sich von Bagdad bis Washington die Sorge breit, der Irak könne „auseinanderfallen“. Die staatstragenden irakischen Medien beschwörten gestern die Einheit des Landes. Es gebe Leute, die auf eine Zerstörung der Einheit Iraks hinarbeiteten, hieß es in der Regierungszeitung 'Al Irak‘; das Blatt 'Al Thaura‘ drohte, jeder, der gegen die irakische Revolution arbeite, sei ein Verräter und ein Söldner und werde sein Tun noch bereuen und dafür bezahlen müssen.

Auch die US-Regierung scheint das Regime in Bagdad und sogar die Person Saddam Husseins mittlerweile als stabilisierenden Faktor zu entdecken. Verteidigungsminister Richard Cheney wiederholte zwar altbekanntes, als er erklärte, die USA würden eine neue Regierung im Irak begrüßen. Gleichzeitig setzte er jedoch einen neuen Akzent, als er eingestand, es gebe Schlimmeres als das politische Überleben Saddams. „Ein Zerbrechen des Irak wäre vermutlich nicht im Interesse der USA“, fügte er hinzu.

Ein weiteres Anwachsen der Protestbewegung, so ist den Äußerungen westlicher und arabischer Politker zu entnehmen, könnte aufgrund der heterogenen Struktur des Irak zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen. Damit könnten die Nachbarländer Türkei, Syrien und vor allem die Islamische Republik Iran in den Konflikt hineingezogen werden und die Region weiter destabilisieren, so die Befürchtungen. „Ich bin nicht sicher, auf welcher Seite man stehen soll“, meinte denn auch Cheney.

Dieses Problem hat der iranische Staatspräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani nicht. Er stellte sich gestern erstmals öffentlich an die Seite der Protestbewegung. Auf dem wöchentlichen Freitagsgebet in Teheran forderte er Saddam Hussein auf, sich dem Willen seines Volkes zu beugen und abzutreten. „Es wäre der größte und letzte Fehler von Saddam, wenn er beschließen würde, sich dem Volk zu widersetzen.“

Der Ausschluß des Iran aus den Bemühungen um eine Nachkriegsordnung und der Aufruhr im mehrheitlich von schiitischen Glaubensbrüdern bewohnten Südirak hat die Regierung in Teheran offenbar bewogen, ihre bisherige neutrale, vermittelnde Haltung aufzugeben. Statt dessen setzt sie nun auf eine schiitische Rebellion, um doch noch einen Fuß in der Tür zu haben. Entsprechend klingen auch die Verlautbarungen irakischer Exilgeistlicher in Teheran, nach deren Angaben Basra immer noch in der Hand der Bevölkerung ist. Alle Informationen, etwa durch Flüchtlinge aus dem Südirak, werden durch das Regime kanalisiert. Das Interesse ist offenkundig, daß die Welt nur das erfahren soll, was Teheran für politisch zweckmäßig hält.

Die Protestbewegungen gegen das Regime Saddam Husseins dehnt sich nach Angaben der irakischen Exilgruppen und der US-Regierung weiter aus. Cheney sagte, aus etwa zwei Dutzend Städten würden jetzt Proteste gemeldet. Die Auseinandersetzungen konzentrieren sich offenbar auf die beiden heiligen schiitischen Städte Nadjaf und Kerbala sowie auf Kurdistan im Norden des Landes.

In Exilkreisen in der syrischen Hauptstadt Damaskus hieß es unterdessen, Saddam Hussein habe schiitischen Fundamentalisten und Kurden eine Beteiligung an der Macht angeboten. Dies berichteten Korrespondenten des 'Guardian‘ und der 'Washington Post‘ am Freitag. Bayan Jabour, der Vertreter des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak in Damaskus, wies diesen Berichten zufolge ein Angebot zurück, nach denen den Schiitengruppen die Hälfte der Regierungssitze eingeräumt werden sollten. Jabour sagte weiter, Hammadi sei nach Teheran gesandt worden, um mit Muhammad Bakr al Hakim, dem Vorsitzenden des Rates, zu sprechen. Dieser habe ein Treffen jedoch abgelehnt.

Kurdischen Quellen zufolge wurde dem Chef der Kurdischen Demokratischen Partei Iraks, Massoud Barzani, ein ähnliches Angebot unterbreitet. Es sei die Rede gewesen von einer nicht näher ausgeführten Regierungsbeteiligung und einer Rückkehr zu dem Autonomieversprechen aus dem Jahre 1970, das aber niemals verwirklicht wurde. Außerdem sei „das Aufschlagen einer neuen Seite in unseren Beziehungen“ angeboten wurden. Über eine Antwort seitens der kurdischen Gruppen war zunächst nichts bekannt.

Es wäre nicht das erste Mal, daß Saddam Hussein versucht, Oppositionsgruppen in den Machtapparat einzubinden, um innenpolitisch die Hände frei zu haben. In den Zeiten der „Nationalen Front“ in den siebziger Jahren war die Kommunistische Partei, damals die neben den Kurden stärkste Oppositionskraft, ein solches Bündnis eingegangen, was ihr freilich weitere Verfolgungen nicht ersparte. Angesichts der Erfahrungen aus der Vergangenheit mit solchen Zweckbündnissen und der gescheiterten Autonomieregelung für Kurdistan dürften solche Angebote Saddams daher auf Zurückhaltung stoßen. Am Wochenende werden sich die irakischen Oppositionsgruppen in Beirut treffen, um über ihr weiteres Vorgehen zu beraten.