Das Tierelend im Kinderzimmer

Streit um die pädagogisch wertvolle Meersau/ Kinder verbrauchen jährlich Millionen von Kleintieren/ Nager und Schildkröten sind besonders betroffen  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Im Ortsbeirat in Frankfurt-Bornheim schlugen im Sommer 1990 die Wogen der menschlichen Emotionen hoch: denn es ging ums Tier. Im Streit um Sinn und Unsinn eines Zoos mit exotischen Insassen plädierten die Grünen für alternative Menagerien eigener Art. Höfe, auf denen ihre lieben Kleinen Kühe, Schweine und Hühner besichtigen können, forderten sie stattdessen. Und, Gipfel des Alternativen, „Streichelecken“ auf Kinderspielplätzen. Dies war nicht nur CDUlern, die seit langem die Elefanten im Frankfurter Zoo vermissen, ein Greuel.

Unversehens setzten sich die Drei-Tage-Bart- und Latzhosen-Eltern samt ihrem kinderladengestählten Nachwuchs auch gegenüber den Tierschützern ins Unrecht, die die Veranstaltung zum Anlaß nahmen, die Realität des Tiers im deutschen Kinderzimmer zu thematisieren. Streichelecken auf dem Spielplatz sind da noch das geringste Übel, auch wenn sich bei der Vision von der von Kinderhand bis zur Kahlheit dauergestreichelten Meersau das Fell sträuben möchte.

Das Elend der Tiere in bundesdeutschen Kinderzimmern ist in der Tat bisher ein Tabu, ein Skandal, der sich — sozusagen — unter der Schmusedecke abspielt. Jährlich werden an diesen — nach außen hin so harmlosen wie abgeschotteten Orten — vier Millionen Tiere verbraucht.

Der Zoohandel berichtet von enormen Verkaufszahlen. Abertausende Meerschweinchen, Zierkaninchen, Schildkröten und Vögel, vorwiegend Wellensittiche und Kanarien, gehen jährlich über die Ladentheke. Daß sie unvorstellbares Leid erwartet, blieb der Öffentlichkeit bisher verborgen.

Eine geheime Untersuchung des Instituts für Pädagogische Tiernutzung in Garching ergab Erschreckendes. Meerschweinchen gehen durch schokoladenverschmierte Kinderhände, werden in Puppenkleider gestopft, in Lego-Autos und ferngelenkten Feuerwehrwagen durch das Kinderzimmer geschleudert, unter Bettdecken erstickt. Sie werden öfter gebadet und shamponiert als im Versuchslabor, an Leinen und Schlingen durch die Gegend gezerrt.

Besonders häufig bekommen Tierärzte verletzte Kaninchen zu sehen, die sich auf der Flucht vor ihren kleinen Peinigern zum Beispiel unter der Waschmaschine versteckten. Brutal hervorgezerrt, werden sie mit tiefen Rissen und Wunden auf dem Rücken und an den Seiten eingeliefert. Nach der Behandlung müssen sie dann, zurückgekehrt ins Spielzeugarsenal, die Fürsorge der kleinen ÄrztInnen und Krankenschwestern überleben: Doktorspiele mit Spritzen, Nutella-Salben und Kopfverbänden.

Richtig wertvoll werden sie erst am Ende dieses Hundelebens. Die Kleinen betrauern, meist lauthals brüllend, den Tod ihres Hausfreundchens, was den Eltern immerhin die Möglichkeit gibt, die schleichende Hinrichtung in eine astreine pädagogische Beerdigung münden zu lassen. Diese findet meist im Schuhkarton statt — entweder im eigenen Garten oder beim Waldspaziergang.

Einer solchen feierlichen Krabbelstuben-Beerdigung verdankte in Südhessen jüngst ein Hund den schnellen Tod durch das Gewehr eines Jägers. Der präsentierte dem empörten Hundebesitzer nicht nur den Kadaver seines Terriers, sondern dazu auch den eines angeblich gewilderten Kaninchens. Daß das Kaninchen aus einen vom Hund säuberlich ausgebuddelten Pappkarton stammte, liebevoll mit Deckchen und Blumen dekoriert, stellte sich erst später heraus.

Was allein Schildkröten, derzeit wegen der bei Kindern so beliebten wie brutalen Zeichentrickserie Hero Turtles groß in Mode, erdulden müssen, ist unbeschreiblich.

Sie schmachten in Minigefängnissen, werden mit Knallkörpern bombadiert, in Kanalisationsrohre gestopft, müssen, bumbum, pängpäng, dem Drang zum Ausleben frühkindlicher Aggressionen standhalten — einem Bedürfnis, für das früher Bauklötze auch genügt haben.

All dem ein Ende zu machen, dazu ist inzwischen der hessische Tierschützer Ilja Weiss angetreten. In einem ersten Schritt forderte er in bekannt engagiert kämpferischer Weise ein konsequentes generelles Verbot nicht nur der Käfighaltung von Legehennen. Er machte sich zum Fürsprecher aller eingesperrten Vögel und forderte das Verbot auch der Käfighaltung von Ziervögeln.

Ein Beispiel dafür hat er in Wiesbaden vor der Haustür. Dort siedelt im Park eine winterharte Papageienkolonie und entwickelte sich inzwischen zu einer rechten Plage.