Bremer Justiz will Frauenschreie hören

■ Bundesweit neues Sonderdezernat für gewalttätige „Beziehungsdelikte“ / Ab 1. März eingerichtet

Bundesweit neue Amtswege beschritten hat die Bremer Staatsanwaltschaft schon einmal - und zwar bei allen Akten, auf denen „Vergewaltigung“ oder „sexuelle Nötigung“ steht. Damit diese „Vorgänge“ nicht länger als „Kavaliersdelikte“ in den diversen Aktenstapeln der Justiz untergingen, war vor sieben Jahren in Bremen ein Sonderdezernat für „Sexualdelikte“ geschaffen worden.

Am 1. März 1991 hat sich die Bremer Justiz in Sachen Frauenrecht wieder einen Schritt nach vorne gewagt. Staatsanwältin Claudia Traub, bisher schon zuständig für die „Vergewaltigungen“ in der Stadt, bekam eine zweite, bundesweit neuartige Sonderzuständigkeit dazu. Im verschraubten Juristendeutsch ausgedrückt: Auf ihrem Schreibtisch landen jetzt auch alle „Verfahren wegen Gewalttaten gegen Frauen im Zusammenhang mit einer Ehe oder einer Lebensgemeinschaft, auch wenn diese nicht mehr bestehen.“ Sprich: Immer dann, wenn ein Mann seine Lebenspartnerin anbrüllt, zusammenschlägt oder lebensgefährlich mißhandelt und diese „Körperverletzung“ zur Anzeige kommt, ist seit 1. März nur noch eine Staatsanwältin dafür zuständig. Sonderdezernentin Claudia Traub zur taz: „Bisher sind solche Anzeigen hier so durchgelaufen. Genauso wie Diebstähle landeten

Bitte die lächelnde Frau

Sonderdezernentin Claudia Traub

sie als einer von 2.000 Vorgängen auf dem Tisch einer Amtsanwältin oder eines Amtsanwalts.“ Letztes, aufsehenerregendes Beispiel für dieses „Durchlaufen“ einer Akte: Die Bremer Nepalesin Nirmala Ataie war Ende letzten Jahres vor ihrem Ehemann ins Frauenhaus geflüchtet und hatte den Mann bei der Polizei angezeigt. Ihre Anzeige ging den üblichen Weg der „kleinen Delikte“. Die Anzeige wurde erst nach Wochen bearbeitet und dann eingestellt — aus „mangelndem öffentlichen Interesse“. Als Nirmala Ataie dieser Bescheid zuging, war sie bereits tot: Ihr gewalttätiger Ehemann hatte sie mit 15 bis 20 Messerstichen umgebracht.

Der tragische Tod Nirmala Ataies rückte bei der Behördenleitung das Thema „Gewalt gegen Frauen“, wie Claudia Traub sich ausdrückt, „mehr ins Blickfeld“. Die Folge: Der Arbeitskreis „Institutioneller Umgang mit Vergewaltigungsopfern“ fand mit der Forderung nach einem weiteren Sonderdezernat Gehör.

Die Staatsanwältin wehrt sich jedoch gegen überhöhte Ansprüche an ihr neues Dezernat: „Ich bin nicht die große Schwester, die über alle Beziehungen wacht.“

Wieviel Anzeigen gegen gewalttätige Ehemänner täglich bei der Bremer Polizei eingehen, ist bisher in keiner Kriminal-Statistik erfaßt. Es dürften jedoch vielmehr sein, als eine Doppel-Sonderdezernentin allein an einem Arbeitstag bewältigen kann. Claudia Traub rechnet denn auch damit, daß eine zweite Kollegin und eine Sozialarbeiterin eingeschaltet werden. Die Staatsanwältin über ihr neues Tätigkeitsfeld: „Ich will alle Anzeigen sehen und dann entscheiden: Muß ich was tun oder halte ich mich raus?“ Nichts tun, also das Verfahren einstellen, werde sie etwa dann, wenn die Gewaltakte nicht sehr massiv gewesen seien und für sie keine Wiederholung absehbar sei, wenn die betroffene Frau zudem beschließe, mit dem Mann zusammenzubleiben und auch kein eigenes Interesse mehr an einem Strafverfahren habe (Fall-Beispiel: Betrunkener Mann ohrfeigt seine Frau einmalig). Bei massiveren nicht-sexuellen Gewaltakten werde sie jedoch genauso ermitteln und anklagen wie bei sexueller Gewalt, und in Einzelfällen auch Haftbefehl gegen den Mann beantragen: „Ich werde vieles nicht verhindern können. Aber ich will, daß die Frauen von der Justiz gehört werden.“ Barbara Debus