Die Fortsetzung der Freizeit mit denselben Mitteln

■ »Mein Krieg« — Privatfilme aus dem Zweiten Weltkrieg und ihre Autoren im Babylon-Ost

In der Farbe haben sich die Filme ganz prima gehalten. Auch die Kamera ist nie gereinigt worden, fünfzig Grad minus vor Moskau konnten ihr nichts anhaben. »Die hat funktioniert bis zum Kriegsende« — genau wie der, der sie damals führte und der heute seine treue Kameradin in Buchdeckelgröße vorführt: Der Schulbuchverleger Götz Hirt-Reger ist einer von sechs Hobbyfilmern, die im Zweiten Weltkrieg ihre privaten Kameras mit an die Front genommen hatten und deren Material Harriet Eder und Thomas Kufus zu einem Dokumentarfilm unter dem Titel Mein Krieg zusammengestellt haben. Zu einem Dokument über die Augen und über die Wahrnehmung derer, die den Krieg wirklich führten. Einfache Soldaten, keine Propagandafilmer. »Man kann das als Mitläufer bezeichnen, wenn man allerdings heute sagt, die Mehrheit oder das ganze deutsche Volk waren Mitläufer, dann würde ich eher sagen, wir waren Mittäter. Als Soldat war ich Mittäter.«

Der das sagt, Roland Klemig, Gründer des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz, ist der einzige der sechs Männer, der sich — auch anhand des Bildmaterials — gezwungen fühlte, Fragen zu stellen, wie die Dinge gelaufen sind. Anders als die anderen ehemaligen Hobbyfilmer, die ihr Material auch selbst kommentieren und resümieren. »Ich bin mit meinem Gewissen bis zum heutigen Tage nie in Konflikt gekommen«, freut sich der ehemalige Versicherungsdirektor Hubert Becker. Er hat inzwischen übrigens ein neues Hobby: Zinnsoldaten. Der Porzellanvertreter Erhard Schumann war »sehr, sehr, sehr enttäuscht«, als der Krieg verloren ging. »Jeder Krieg ist mit Verlusten verbunden, die sehr schmerzlich sind, aber mit denen man als Arzt und als Soldat und Patriot irgendwie fertig werden muß«, sagt hingegen der Gynäkologe Paul Rohwedder.

Für die meisten der Männer war und ist der Krieg so eine Art staatlicher Ferienverschickungsdienst inklusive Fotosafari. »Ich hätte Russland nicht kennengelernt, ich hätte Ungarn nicht kennengelernt, ich hätte Rumänien nicht kennengelernt, die Krim nicht kennengelernt und so weiter. Das einzige, was ich eigentlich bedauere, ist, daß ich immer im Osten war und daß ich nicht in den Westen gekommen bin. Das hätte mich mindestens genauso interessiert, auch unter Kriegsbedingungen. Kennenlernen ist kennenlernen.« Dies sagt der Schulbuchverleger.

Panzer blitzen im Sonnenschein, Frauen winken von Dächern, lachende Gesichter, Picknick im Freien — der Zug geht Richtung Osten. Hubert Becker, ehemaliger Versicherungsdirektor: »Es war eben die Freude, die man immer hat, wenn man eine Reise tut.«

Sein Kamerad Reger interessierte sich sehr für fremde Städte. Zum Beispiel für Warschau. Hier sehen wir die schöne rote Straßenbahn. Und dann »ein Rundgang« — durch die zerbombte Stadt. Wegen des Rundblicks klettert der Schulbuchverleger sogar in ein zerstörtes Hochhaus, sicher ein riskantes Unternehmen: »So wie Sie eben auch sonst fotografieren, Bäume oder Landschaften oder sonst etwas, so habe ich eben das auch gemacht.« Der Krieg ist die Fortsetzung der Freizeit mit denselben Mitteln, nämlich mit der Hobbykamera.

Hubert Becker hat das Glück, an einer Safari teilnehmen zu dürfen, bei der er mit Gewehr und Kamera abwechselnd schießen kann. Mit dem Gewehr ein Flugzeug, bis es explodiert, und mit der Kamera das positive Ergebnis. Nämlich: »Und hier ist der Pilot, schwarz, mit blauem Pullover, war noch ein bißchen da. Ich habe mir die Situation angeschaut, voll Freude, daß wir es geschafft haben, diese Hornisse zu vernichten. Das war etwas, das uns ständig gestochen hat.« Für solche Momente hieß es, die Kamera stets schußbereit zu haben: »Manchmal macht man sich doch große Vorwürfe, daß man nicht gefilmt hat, und hinterher ist es so schön geworden.« (Hirt-Reger)

»Es wird Erinnerung lebendig«, sagt der eine, Siegfried Lauterwasser, auch später noch Fotograf, »man ist gleich wieder drin in der damaligen Zeit. Was fehlt, ist ja nur der Ton von damals«, findet ein anderer, »ach, da bin ja ich«, jubelt der Fotograf kokett. Wiedersehensfreude ist doch eine der schönsten Freuden.

»Jaha«, freut sich der Porzellanvertreter, »da ist die Kirche von...«, nur daß diese Kirche lichterloh brennt. »Ich war ja froh, daß ich jetzt im Krieg den Beruf hatte, den ich im Frieden haben wollte. Und so habe ich mich dann im Krieg bemüht, neben meinen vielen Aufgaben, die ich hatte, das, was ich links und rechts von mir sah, dokumentarisch festzuhalten, denn ich hatte mir das so vorgestellt, daß, wenn mal Krieg sein würde, dann würde ich aber das Echte aufnehmen, so wie's vor dem ersten Graben zugeht.« Der Propagandist aus Passion weiter: »Ich bin auf eine Tanne gekrabbelt, um das beobachten zu können, und hatte das Glück, daß da unten gerade Alarm war ... ich mußte ja ein bißchen Action haben, wenn ich schon auf den Baum steige.« Niemand hatte das von ihm verlangt. »Es ist jetzt zehn vor zehn, ich fotografiere das Gesicht der einzelnen Soldaten, und um zehn Uhr beginnt die Schlacht... Die Gesichter wollte ich vor der Schlacht noch filmen ... weil da viel zu lesen ist, was der Soldat jetzt denkt und ob er so einsatzfreudig ist, wie er es sein muß. Ich wollte für die Nachwelt speziell das entschlossene Gesicht des deutschen Soldaten festhalten vor einer Schlacht.« Der Porzellanvertreter hatte sich in seinem ersten Graben der Wahrheit durch und durch verpflichtet. Nur die Frage, ob er russische Zivilisten erschossen hatte, solle man ihm doch bitte ersparen.

Statt dessen sprechen die Männer vom »intensiven Gefühl für die Erde« und darüber, wie sie von der Heimat zurück zu ihrem eigentlichen Zuhause an der Front gefahren sind. Sonnenblumenfelder, Kriegsgefangene (»die haben die Kamera gar nicht gesehen«), Baden im Schwarzen Meer, Heiligabend bei Kerzenschein. Massengräber mit toten Russen: »Man nimmt es eben zur Kenntnis.« Russische Frauen mußten ihre toten Männer in die Grube werfen. »Die deutschen Soldaten hatten auch andere Sachen zu tun«, zum Beispiel die Toten erst mal produzieren und dann auch noch filmen. Nun sind das »eindrucksvolle Szenen«, sagt der Schulbuchverleger. Sobald er filmte, war ihm fast egal, was um ihn herum passierte. Kann man die Beziehung Kitsch-Freizeit-Medien-Krieg klarer darstellen?

Mein Krieg erhielt im letzten Jahr den Friedensfilmpreis. Gabriele Riedle

Mein Krieg von Harriet Eder und Thomas Kufus läuft heute um 19.30 Uhr, morgen um 22 Uhr und am Mittwoch um 17.30 Uhr im Babylon-Ost. Heute findet anschließend eine Diskussion statt.