Eine (Ent-)Täuschung des Gehirns

■ Deutsches Fernsehen versucht sich wieder am 3-D-Effekt/ „Leo's“ Urteil: mega-out

Leo's hatte diesmal eindeutig die Nase vorn. Vergangenen Montag feierte Andreas Lukoschik in seinem Zeitgeist-Magazin die Premiere für einen neuen 3-D-Effekt im Fernsehen. Eine halbe Stunde lang zeigte er die Möglichkeiten und Widrigkeiten des Verfahrens und seinem Mitbewerber Thomas Gottschalk eine lange Nase. Bevor der nämlich in seiner für Mittwoch angekündigten Personality-Show einen groß angekündigten 3-D-Videoclip zeigen konnte, hatte Leo's ihn schon im Programm und nahm Gottschalk auch noch seinen Stargast Margeaux Hemmingway (vor-)weg. Gottschalk hatte denn auch schon gar keine Lust mehr auf 3-D und riet den Zuschauern in Bezug auf die millionenfach verkauften, gelb-violetten Nuoptix-Brillen spöttisch: „Schmeißen Sie sie weg. Es bringt nichts. Wir haben uns das angeschaut beim Kollegen Leo. Das macht einen ja wahnsinnig. Das funktioniert nur, wenn alles in Bewegung ist.“ Tatsächlich macht die bei der neuen Technik unumgängliche Bewegung von Kamera und Personen auf Dauer recht rappelig. Da fährt und schaukelt und wackelt das Aufnahmegerät auch ohne jede dramaturgische Notwendigkeit.

Für Leo ist das Thema 3-D darum schon wieder „mega-out“. „Das war für uns die Möglichkeit, mit einem neuen Spielzeug zu spielen“, erläuterte Andreas Lukoschik im Gespräch mit der taz sein Verhältnis zum dreidimensionalen TV. „Wir waren uns völlig darüber im klaren, wenn wir wirklich diese 3-D-Geschichte jetzt machen, dann probieren wir wirklich alles aus, was man damit machen kann, und nach dreißig Minuten weiß jeder, ob das Zukunft hat, ob ihm das auf den Keks geht — oder nicht. Ich glaube, man weiß jetzt, daß es, nun ja, mal schöne dreißig Minuten waren — bestenfalls. Im Moment haben die gesamte Crew, also, Regisseur, Redakteur, Beleuchter und meine unmaßgebliche Person die Nase voll, uns immer vor der Kamera, mit der Kamera und vor dem Hintergrund zu drehen, in ganz bestimmter Reihenfolge... Man hat es ja auch in der Sendung gesehen: Die Interviewpartner kann man ja gar nicht richtig interviewen. Die müssen sich auch immer drehen und denken dann immer nur an die Drehung, und es kommt kein richtiges Gespräch zustande.“

Der Versuch, einem zweidimensionalen Bild durch optische oder mechanische Tricks zu scheinbarer räumlicher Tiefe zu verhelfen ist schon gut hundert Jahre alt. Mit der schnellen Entwicklung der Kinematographie zu einem Massenmedium experimentierte man mit verschiedenen Verfahren, die im Film die Illusion dreidimensionalen Sehens ermöglichen sollten. Eines davon arbeitet mit Anaglyphen, d.h. die Szenen werden simultan aus zwei gegengeneinader leicht verschobenen Blickwinkeln und zudem komplimentär gefiltert aufgenommen. Bei der Projektion trennt eine spezifische Brille die Informationen für die menschlichen Augen. Die liefern somit dem Gehirn zwei verschiedene Bilder, welche, vom überlisteten Verstand erneut zu einem einzigen zusammengefaßt, den Eindruck räumlichen Sehens bewirken. Erste Filmaufführungen mit dieser Technik gab es 1922 in Los Angeles und 1925 in New York. Spätestens mit der Verbreitung des Farbfilms machten sich die Nachteile des Anaglyphenverfahrens gravierend bemerkbar, denn es funktionierte nur in Schwarzweiß. Außerdem hatte die beschriebene widernatürliche Täuschung des Gehirns unerfreuliche Folgen: Es strafte den Genuß eines abendfüllenden 3-D-Films oft mit heftigen Kopfschmerzen.

Ein neues Verfahren, das die unterschiedlichen Wellenlängen des Lichtes nutzte und die Bilder mit Hilfe von Polarisationsfiltern zerlegte, versprach Abhilfe in beiden Fällen. Allerdings war es aufwendig, denn für die Aufführung benötigte man zwei miteinander gekopelte Projektoren. Ab 1936 fand diese Technik in den Kinosälen Verwendung, doch die 3-D-Filme verschwanden in dem Maße, wie das Publikumsinteresse erlahmte. Hinter den Kulissen gingen die Experimente weiter. In der Sowjetunion entwickelte man ein 3-D-System, das mit Rückprojektionen arbeitete, die Ergebnisse allerdings blieben unbefriedigend, und es gelangte nicht in die Filmtheater.

In den Fünfzigern rüstete sich das Kino, um die zum Fernsehen abgewanderten Zuschauer zurückzugewinnen. Großbildtechniken wie Cinerama, Cinemascope oder eben 3-D und dazu passsende Monumentalfilme wurden der Mattscheibe entgegengesetzt. der Abenteuerfilm Bwana Devil machte 1952 den Anfang, war immens erfolgreich und löste eine Welle von stereoskopischen Filmen aus, darunter Klassiker wie Andre de Toths House of Wax oder Jack Arnolds Creature from the Black Lagoon. Jedoch war wiederum der Reiz des Neuen rasch verflogen; der Aufwand wurde nicht durch entsprechende Zuschauerzahlen honoriert, und von in 3-D-gedrehten Filmen wie Kiss me Kate oder Hitchcocks Dial M for Murder wurden nur noch Normalkopien gezogen.

Dafür begann 1982 das Fernsehen probeweise mit der Ausstrahlung von Sendungen in 3-D. Das vom Nordeutschen Rundfunk durchgeführte Projekt scheiterte an denselben Problemen wie einst die Filmproduzenten: Das Bild war schwarzweiß, ohne Brille nicht zu erkennen und ermüdete den Betrachter ziemlich rasch.

In der vergangenen Woche nun gab es bei ARD und ZDF einen erneuten Versuch zur Einführung des 3-D-Effekts mit einem neuen von dem Amerikaner Terry D. Beard erfundenen Verfahren. Dabei nimmt die Kamera mit zwei unterschiedlichen Laufgeschwindigkeiten auf; wiederum zerlegt eine spezielle Brille die Bilder für die Augen. Der Vorteil dieses Prinzips besteht darin, daß das Fernsehbild auch ohne Brille in unverminderter Qualität wahrgenommen werden kann. Die Nachteile: Kamera und Objekte vor der Kamera müssen permanent in Bewegung sein, Zuschauer mit Augenschäden können den Effekt nicht auskosten und Störungen des Fernsehempfanges machen ihn ebenfalls zunichte.

Nach Leo's und Gottschalks Versuch schickt RTL Hugo Egon Balders mopsfidele Rateshow Tutti Frutti ins Rennen um die dritte Dimension. Ob ihm der Umgang mit der vertrackten Technik leichter fällt als dem Münchner Kollegen, kann, wer's braucht, kommenden Freitag überprüfen. Die unerläßliche Brillen gibt es für drei D-Mark bei jedem Optiker. Harald Keller