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KOMMENTAREGefährlicher Rückgriff

■ Die Opposition kämpft für Öffentlichkeit — aber demokratisch ist sie nicht

DDemonstriert wurde in Belgrad für die öffentliche Verfügbarkeit der öffentlichen Medien, ohne die der Übergang zur Demokratie auf halbem Wege stehen bleiben muß. Bisher waren sie fest in der Hand der regierenden Sozialistischen Partei, dem umgetauften „Bund der Kommunisten“. Die Opposition, die seit der neuen Verfassung vom September 1990 uneingeschränktes Entfaltungsrecht hat, blieb auf eigene private Medien angewiesen, die immer wieder administrativ zu knebeln waren. Zu Recht oder Unrecht konnte sie daher den triumphalen Wahlsieg von Milošević und seiner Partei im Dezember 1990 auf Manipulation schieben.

Obwohl der Konflikt also um die Institutionalisierung von Öffentlichkeit und damit um eine Grundfrage der Demokratie geht, handelt es sich bei den Beteiligten nicht ohne weiteres um Demokraten: Das Oppositionsbündnis, das die Demonstration organisierte, ist eine Koalition von nationalistischen, antikommunistischen Gruppen und Parteien, von denen einige eine konstitutionelle Monarchie unter der Dynastie der Karadjordjević unseligen Angedenkens wollen. Der festgenomme Vuk Drašcović kämpft seit Jahren um ein Serbien in den Grenzen der Zwischenkriegszeit, das heißt für die Annektion Makedoniens, Montenegros und großer Teile Bosniens und Kroatiens, das Problem der albanischen, moslemischen und ungarischen Minderheiten will er durch Vertreibungen lösen.

Milošević seinerseits hat seinen Aufstieg zur Macht seit 1988 mit nationalistischer Hetze und Repression der nichtserbischen Minderheiten vorangetrieben. Wie die einst herrschenden Kommunisten in den anderen Länder Osteuropas glaubte er, die bröckelnde Legitimität auf diese Weise stabilisieren zu können. Aber die Oppositon hat ihm den chauvinistischen Schneid abgekauft. Überdies hat er keines seiner wirtschaftlichen und sozialen Versprechen einlösen können. So hat er nun, drei Monaten nach seinem Wahlsieg, die Intellektuellen, die Studenten, die Arbeiter und die Bauern gegen sich.

Der Rückgriff auf die Armee kann sich für ihn noch verhängnisvoll erweisen. Zwar wird diese von einem serbischen Offizierskorps beherrscht, dem nationalistische Gefühle nicht fremd sind. Aber die Offiziere repräsentieren den konservativ- kommunistischen Flügel der Sozialistischen Partei. Mehr als bisher wird Milošević mit ihm nun auch in Serbien identifiziert werden. Das aber kann ihm jene Reste von Sympathie bei der Bevölkerung kosten, auf die es gerade in Krisenzeiten ankommt. Erhard Stölting

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