Die Wüste ist tot

Wissenschaftler raten den Kuwaitis, erst nach dem Löschen der meisten Ölbrände zurückzukehren  ■ Von Silvia Sanides

Washington (taz) — Als „totale Katastrophe“ beschrieb Musab Aly Aseen von der staatlichen „Kuwaitischen Ölgesellschaft“ den Zustand der kuwaitischen Ölfelder. Amerikanische GIs fanden das Inferno der brennenden Ölquellen „höllisch“ und „gespenstisch“. Über das Ausmaß der Katastrophe gab es in den ersten turbulenten Tagen nach Kriegsende nur Vermutungen. Inzwischen ist klar: Nicht 60, wie zunächst angenommen, sondern 85 Prozent der Ölquellen Kuwaits brennen. Außerdem schwelen Öltanks, oberirdische Sammelbecken und Raffinerien. Drei Millionen Barrel Öl, schätzt das Washingtoner „Worldwatch Institute“, gehen täglich in Flammen auf, mehr als das Doppelte der von Kuwait vor dem Krieg geförderten Menge. Dichte Rußwolken, aus denen öliger, schwarzer Regen niedergeht, verdunkelten in der letzten Woche den Himmel von der östlichen Türkei bis zur Straße von Hormus.

„Die Luftverschmutzung ist viele hundertmal schlimmer als alles, was wir bisher kennen“, warnt Umweltwissenschaftler William Moomaw. Hohe Mengen Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff, Stickoxide und andere, möglicherweise krebserregende Chemikalien gefährden besonders Kinder und alte Menschen. Deshalb vertritt Christopher Flavin vom „Worldwatch Institute“ die Ansicht, die kuwaitische Zivilbevölkerung sollte erst nach dem Löschen der meisten Feuer zurückkehren. Sonst wäre eine Tragödie, wie sie sich 1952 in London abspielte, nicht auszuschließen. Damals starben 4.000 Menschen an Erkrankungen der Atemwege, ausgelöst durch den Londoner Smog infolge einer Klimainversion.

Auch Nutzpflanzen, Weideland und die Trinkwasserversorgung sind gefährdet, weil Schwefeldioxid in hohen Mengen stark sauren Regen bildet. Das „Britische Meteorologische Büro“ errechnete, daß das tägliche Verbrennen von 2,5 Millionen Barrel öl jährlich drei Millionen Tonnen Schwefel freisetzt. Außerdem erwarten Klimaforscher Dürreperioden in der Region, da mehr als eine Million Soldaten zusammen mit ihrem Arsenal einen guten Teil der empfindlichen Wüstenvegetation zerstört haben. Angeblich hat sich die Wüste Nordafrikas bis heute noch nicht von den Gefechten des Zweiten Weltkrieges erholt.

Vier amerikanische und ein kanadisches Unternehmen sind inzwischen zum Löschen der Ölbrände angeheuert worden. Noch nie haben die Feuerwehrmänner, von denen es nur etwa hundert Ölspezialisten gibt, mehr als fünf Quellen gleichzeitig brennen sehen. Obendrein haben die Iraker gründliche Arbeit geleistet: Die Bohrlöcher wurden ziemlich tief in der Erde gesprengt, so daß die Hauptventile zerstört sind. Der natürliche Druck befördert jetzt das Öl ungehindert an die Oberfläche.

Was bisher für die Kuwaitis ein Dollarsegen war — daß das schwarze Gold ohne Hilfe von Pumpen an die Oberfläche sprudelt —, wird nun zum Fluch. Die Löschtrupps müssen diagonale Tunnel in die Bohrlöcher treiben, sie dann mit Schlamm stopfen und so den Flammen den Brennstoff abschneiden. Das kostete bisher pro Ölquelle rund zehn Millionen Dollar. Den Kuwaitis werden die Feuerwehrmänner aus Texas zweifelsohne Mengenrabatt geben, zumal ihre Arbeitsplätze in der Wüste, den pessimistischsten Erwartungen zufolge, für die nächsten fünf Jahre gesichert sind. Dennoch meinte Musab Aly Aseen: „Die Ausmaße des Problems übersteigen unsere administrativen, technischen und finanziellen Kapazitäten.“ Auch das „Worldwatch Institute“ fordert eine „internationale, von der UNO koordinierte Zusammenarbeit“ für die Behebung der vom Krieg verursachten Umweltkatastrophe. „Die Umwelt der Region ist eines der wichtigsten Kriegsopfer geworden“, so Flavin. „Je länger wir ihr Instandsetzen herauszögern, desto größer die Langzeitschäden.“