Grüne Koalitionäre stehen in der Pflicht

Joschka Fischer wird Minister für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten/ Frauenministerium fällt an die SPD/ Kampfansage der Koalition an die Atomindustrie/ Dritter Giftmüllofen in Ried wird trotzdem weitergebaut  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) — Am Samstag, kurz vor der Sportschau, dürfte den Herrschaften in den Chefetagen der Hanauer Atombetriebe und der Essener REW-Hauptverwaltung die Wochenendlaune vergangen sein. Im großen Sitzungssaal der SPD-Fraktion im hessischen Landtag verkündete ein aufgekratzter Joschka Fischer, daß er als neuer Minister für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten demnächst auch für die Aufsicht und Genehmigung der hessischen Atomanlagen und Kraftwerke zuständig sein werde. Der designierte Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) hatten nach Abschluß der sechswöchigen Verhandlungen zur Koalitionspressekonferenz nach Wiesbaden geladen — und der kommende stellvertretende Ministerpräsident Fischer darf wunschgemäß in Hessen und in Bonn die politischen Fäden ziehen.

Bis tief in die Nacht zum Samstag hinein hatte man „knallhart aber fair“ in der Mönchbruchmühle verhandelt, meinte ein müder Hans Eichel. Auf der Strecke blieb ein Frauenministerium in der Hand der Grünen. Das begehrte Ressort fiel an die frühere Berliner SPD-Senatorin Heide Pfarr. Und weil die Frauen „gerade im Berufsleben besonders benachteiligt“ würden, so Hans Eichel, werde Heide Pfarr ein Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung leiten. Eichel: „Das ist ein großer Schritt hin zur tatsächlichen Gleichstellung der Frauen in dieser Gesellschaft.“ Die nächtliche Kompromißformel beim Streit um die Besetzung des Frauenministeriums — zur Wahl stand neben Heide Pfarr auch Iris Blaul von den Grünen — lautete „divide et impera“. Denn die „materielle Frauenpolitik“, so Fischer, sei Teilaspekt des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit geworden. Die zuständige Ministerin Iris Blaul erhalte dadurch „automatisch“ die Zuständigkeit etwa für die hessischen Frauenhäuser. Ein „fairer Kompromiß“ sei dies gewesen, erklärten übereinstimmend die Männer Eichel und Fischer. Garantiert sei damit eine enge Zusammenarbeit von Pfarr und Blaul in Sachen Frauenpolitik — und die ausdrücklich erwünschte Einmischung des feminin-feministischen Duetts auch in die anderen Kabinettressorts.

Den „grünen Urbestand“ Umwelt- und Frauenpolitik habe man in den Koalitionsverhandlungen gesichert, lautete denn auch das erste Fazit von Joschka Fischer. Auf der Basis der bereits schriftlich fixierten Vereinbarungen werde die von beiden Seiten gewollte „normale Koalition“ vier Jahre lang gute Arbeit leisten, denn auf Formelkompromisse sei bewußt verzichtet worden: „Wir sind in der Pflicht.“ Erstmals in der Geschichte der Grünen könne man sich als Grüner nicht mehr hinter dem „breiten Rücken“ der SPD verstecken, sondern trage für gewichtige Teile der Landespolitik selbst die volle Verantwortung. Der designierte Minister Fischer, der unter dem früheren Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD) das Umweltressort noch ohne Kompetenzen im Atombereich leitete, baute vor: Die „atomfreie Energiepolitik“ sei zwar unumstrittene Zielsetzung dieser Koalition, aber gerade in der Atompolitik verfüge die aufsichtsführende Bundesregierung über Interventionsmöglichkeiten gegen den neuen hessischen Kurs. Zuständig sei die Landesregierung allerdings bei Sicherheitsfragen — und da werde es „kein Pardon“ mehr geben. „Unverzüglich“ sollen die Hanauer Atomfabriken und die AKWs Biblis A und B — „unter Hinzuziehung atomkritischer Experten“ — auf ihre Betriebssicherheit hin überprüft werden, damit die Landesregierung in die Lage versetzt werde, die „notwendigen Entscheidungen“ hin zum Ausstieg aus der Atomenergie sachgerecht vorzubereiten. Sollte es bei diesen Entscheidungen zu Konflikten mit der Bundesregierung kommen, werde man diesen Konflikten nicht ausweichen, sondern alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten „im Interesse Hessens extensiv und entschlossen nutzen“.

In Mainhausen werden die Bürgerinnen und Bürger — im Gegensatz zur den Atommanagern in Hanau und Biblis — tief durchgeatmet haben. Die Giftmülldeponie Mainhausen sei nämlich „vorerst gestorben“, erklärte Fischer. Unter der neuen Landesregierung würden keine Chemieabfälle unter Grundwasser eingelagert. Dennoch müsse in Hessen „in absehbarer Zeit“ eine obertägige Deponie errichtet werden, denn man wolle die Sonderabfälle der hessischen Industrie im eigenen Lande entsorgen — und so „Schluß mit dem Giftmüllexort“ machen. Eine Sonderabfallabgabe soll bei den Verursachern von Chemiemüll erhoben und zweckgebunden für die Umstellung der Sonderabfallproduktion hin zu Vermeidung und Wiederverwertung eingesetzt werden. Weniger zufrieden als die Mainhausener dürften die Biebesheimer im südhessischen Ried mit den Koalitionsvereinbarungen im Bereich Giftmüll sein. Von dem unter der abgewählten CDU/ FDP-Landesregierung in Angriff genommenen Bau eines dritten Giftmüllofens bei der Hessischen Industriemüll GmbH (HIM) waren die Genossen jedoch nicht abzubringen. Immerhin soll über ein sogenanntes Biomonitoring die bereits vorhandene Schadstoffbelastung in der Umgebung der Verbrennungsanlage exakt ermittelt und dann zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden. Der betroffenen Bevölkerung sicherte Fischer ein „lückenloses Akteneinsichtsrecht“ zu — und das gelte für alle Arbeitsfelder seines Ministeriums. Die schleichende Trinkwasservergiftung in Hessen will Fischer — wie im Sondermüllbereich — mit der Erhebung einer Grundwasserabgabe stoppen. Alle angekündigten Maßnahmen, so Fischer abschließend, seien bereits auf ihre rechtliche Durchsetzbarkeit geprüft worden.

Daß der zukünftige stellvertretende Ministerpräsident bei der Präsentation seiner Politikfelder den zukünftigen Ministerpräsidenten des Landes glatt unter den Tisch redete, spricht für die Kondition des „spiritus rector“ der Grünen. Nach dem Verhandlungsmarathon der letzten Tage hing Hans Eichel leicht angeschlagen in den Seilen. Dennoch habe es ihm „Spaß gemacht“, zusammen mit den Grünen neue Politikvorstellungen zu entwickeln und programmatisch umzusetzen. Dafür gab es dann Streicheleinheiten für Eichel von Fischer, dem es ein „Herzensanliegen“ war, dem Sozialdemokraten für die „Fairneß selbst bei den härtesten Auseinandersetzungen“ um das verabschiedete Koalitionsprogramm zu danken. Der Stellvertreter hielt seinem Regierungschef auch dann noch den Schild, als es um die haarige Frage der Finanzierbarkeit all der schönen rot-grünen Entwürfe vor allem im Bereich Kultuspolitik und Wohnungsbau ging. Eichel „schwamm“, doch Fischer zog ihn schnell an Land: „Wir werden doch den Nachtragshaushalt des Landes nicht zusammen mit der Landespressekonferenz beraten. Da bitte ich um Verständnis.“