Pflegeversicherung nur eine Mogelpackung?

■ Grüne kritisieren SPD-Modell zur Absicherung des Pflegerisikos / Heute große Alten-Demo in der Innenstadt

Heute wollen die Alten in Bremen auf die Straße gehen: Für die längst überfällige Einführung der Pflegeversicherung. Zu ihrer Demonstration, die von den Wohlfahrtsverbänden organisiert wird, meldeten sich gestern die Bremer Grünen und Behinderten- Selbsthilfegruppen zu Wort. „Auf der Demonstration soll das SPD-Modell der Versicherung abgefeiert werden, das ohne Beteiligung der Betroffenen zustande gekommen ist“, sagte Horst Frehe von der Initiative „Assistenz-Genossenschaft“. Statt einer Versicherung forderte er die Finanzierung der Pflegekosten mit Hilfe von Steuern. Weiterer Kritikpunkt: Die Leistungen der Versicherung, so wie sie von den SPD-regierten Bundesländern einschließlich Bremens angepeilt werden, blieben unter den heute schon nicht ausreichenden Standards.

Daß gegen den Notstand im Pflegebereich etwas getan werden muß, ist auch bei den Grünen und den kritischen Behindertengruppen unstrittig. Viele alte und behinderte Menschen können zu Hause nicht mehr versorgt werden, weil die hohen Kosten für professionelle PflegerInnen die finanziellen Möglichkeiten der Familienangehörigen überschreiten. Zudem sind die Träger der häuslichen Pflege häufig nicht in der Lage, die notwendige individuelle Betreuung rund um die Uhr zu gewährleisten. Auch in den Heimen findet die Würde der Behinderten und Alten schnell ihre Grenze an den Pflegekosten: Von einer normalen Rente sind die 3.000 bis 4.000 Mark monatlich nicht zu bezahlen, so daß die PatientInnen unversehens zu SozialhilfeempfängerInnen mit einem geringen Taschengeld werden.

Streit gibt es über die Mittel, diesem Dilemma abzuhelfen. Laut SPD-Vorschlag soll die Versicherung bis zu maximal 60 Stunden häuslicher Pflege pro Monat finanzieren — durchschnittlich zwei Stunden pro Tag. Das aber sei für viele Schwerbehinderte viel zu wenig, so Karoline Linnert von den Grünen. Weiter wurde kritisiert, daß der höchste monatliche Betrag für die häusliche Pflege im Gesetzentwurf 1.500 Mark betrage. Henry Meyer von der Behindertengruppe „Selbstbestimmt Leben“: „Eine Pflege rund um die Uhr kann jedoch bis zu 15.000 Mark kosten.“ Wenn dies notwendig sei, müsse dieser Betrag, um soziale Härten für Behinderte und Angehörige zu vermeiden, von der Allgemeinheit getragen werden. Zur Finanzierung wollen die Grünen im Gegensatz zur SPD nicht nur die Sozialversicherungspflichtigen, sondern alle SteuerzahlerInnen heranziehen. Nach diesem Modell müßten die BezieherInnen hoher Einkommen mehr Geld aufbringen, weil dabei im Gegensatz zu der Sozialversicherung keine Beitragsobergrenze festgelegt ist.

Zu dem Vorwurf, auf der Demonstration solle der SPD-Vorschlag „abgefeiert“ werden, sagte Klaus Schaumann, ein Vertreter der an der Vorbereitung beteiligten Inneren Mission: „Wir haben uns zwar auf die Pflegeversicherung festgelegt, aber über die genaue Ausgestaltung haben wir noch nicht diskutiert.“

Die KritikerInnen der Demonstration bemängelten, daß es ihnen nicht ermöglicht wurde, ihre Position auf der Kundgebung darzustellen. Die ebenfalls kritisch eingestellte Partei „Die Grauen“ wird nur am Rande der Demonstration mit einem Info-Tisch vertreten sein. Hannes Koch

Treffpunkt der Demonstration ist um 10 Uhr am Domshof. Ab 10.30 Uhr: Reden zum Thema in der „Glocke“.