„Viele haben sich zu sehr ans Heim gewöhnt“

■ Ex-DDR-Übersiedler, deutschstämmige Osteuropäer und sowjetische Juden leben in einem Spandauer Containerheim

Spandau. Es gibt sie noch immer, im 16. Monat nach dem Fall der Mauer: Flüchtlinge aus Deutschland. 2.318 Männer, Frauen und Kinder aus der ehemaligen DDR haben in Berlin nach wie vor diesen Status, weil sie vor der Währungsunion kamen. Sie leben in Notunterkünften der Bezirke, zumeist in Pensionen und in eigens errichteten Containersiedlungen — zusammen mit Übersiedlern aus Osteuropa und jüdischen Flüchtlingen aus der UdSSR. Und bisweilen sind sie stinksauer, daß sie als »echte Deutsche« in den Unterkünften mit »Ausländern« leben sollen und keinen Sonderstatus genießen.

Jeanette R. (22) lebt in einem solchen Containerheim im Westen Spandaus. Sie bewohnt mit ihrem Lebensgefährten und ihren zwei kleinen Kindern zwei winzige Zimmerchen im Parterre des langgezogenen provisorischen Baus auf kommunalem Gelände. Die junge Familie kam per Ausreiseantrag aus dem nahen Hohenschönhausen nach Spandau, kurz bevor die Mauer fiel. Eine Wohnung habe sich bis heute noch nicht gefunden, obwohl sie rund 40 Bewerbungen geschrieben hätten, berichtet Jeanette R. Inzwischen haben sie sich im Heim eingerichtet. Die Wände sind mit bunten Popstarpostern geschmückt, ein Kühlschrank ist vorhanden, Hifi- und TV-Geräte wurden angeschafft. Geduscht und gekocht wird in Gemeinschaftseinrichtungen. Jeanettes Mann, gelernter Elektriker, arbeitet, die Kinder besuchen Kita und Krippe. Der Aufenthalt im Heim, sagt sie, ist erträglich. Schwierig sei es nur der Kinder wegen, denn Spielen in den langen tristen Korridoren ist untersagt. Dafür, daß das Verbot befolgt wird, sorgen schon die kinderlosen Mitbewohner. Insgesamt aber sei man zufrieden und hoffe, nun irgendwann eine Wohnung in Spandau zu finden.

Viele der übrigen 166 Heimbewohner kommen aus Israel. Dort haben sie jedoch zumeist nur wenige Tage verbracht. Unmittelbar nach ihrer Ausreise aus der Sowjetunion sind sie in Israel nur angekommen, weil ihnen keine andere Zufluchtmöglichkeit bekannt war. Der Golfkrieg, die dortige schwierige Unterkunfts- und Arbeitssituation hätten sie dann weiter nach Deutschland getrieben. Für die Bundesregierung gelten diese sowjetischen Juden offiziell als »Touristen aus Israel«, weil sie über ein »Drittland« eingereist sind. Eine Etikettierung, die sie selbst jedoch vehement ablehnen. Sie begreifen sich wie die »Direktflüchtlinge«, als »Juden auf der Flucht«. Zumindest inoffiziell haben sich Spandau und zwei weitere Bezirke dieser Sichtweise angeschlossen. Die rund 3.000 obdachlosen »Touristen« erhalten Unterkünfte, Unterstützung und dürfen erst einmal bleiben. Aber keiner weiß nun, wie es weitergehen soll...

Im Spandauer Containerheim — nur eines von vielen — gab es Spannungen. Die Neuankömmlinge seien nicht ordentlich genug, unsauber und ließen ihren quirligen Nachwuchs zu viel fröhlichen Auslauf, erregten sich die »richtigen Deutschen«. Und schon fanden sich »Juden raus«- Schmierereien an den Wänden.

»Berlin ist eine europäische, schöne, große Stadt«, sagt Alexej Yanochkin (26). Der Elektroingenieur will auf jeden Fall in Berlin bleiben. Israel sei von Anfang an nur eine Zwischenstation gewesen. Zusammen mit seiner Frau Anna Grebelsky (22), büffelt er nun unermüdlich Deutsch und ist sauer auf sich selbst, daß es nicht noch schneller vorangeht. »Schwierige Grammatik«, bedauert er. »Wahnsinn, wie der lernt«, bewundert ihn dagegen die Stadträtin. Yanochkin will möglichst bald wieder in seinem Beruf arbeiten, inzwischen vielleicht Gabelstapler fahren oder vielleicht auch als Fotomodell Geld verdienen. Beides hat er in Leningrad auch gemacht. Anna will wieder als Bibliothekarin arbeiten, tut sich aber mit dem Deutsch schwerer als Yanochkin.

»So langsam gewöhnen sich die Leute aus der DDR an die Leute aus der Sowjetunion«, beschreibt Frau Schlawien, die Heimleiterin, das Zusammenleben, »sie merken, daß sie sich damit abfinden müssen.« Selbst wenn dem so ist, hat Spandaus Sozialstadträtin Mende bei dem Wort »abfinden« gemischte Gefühle. Für ihr Empfinden haben viele der ehemaligen DDR-Bürger sich bereits zu sehr ans Heim gewöhnt. »Manche wollen hier gar nicht mehr weg«, sorgt sie sich. Zwar gebe es Fälle — etwa Alleinerziehende mit Kindern — deren Chancen auf dem Wohnungsmarkt minimal seien. Andere aber hätten sich im Heim einfach eingerichtet. Ihr Flüchtlingsstatus sorgt für eine Sonderstellung unter Berlins Obdachlosen: Der Bezirk zahlt pro Person und Nacht 35 Mark an den privaten Betreiber der Unterkunft — insgesamt alleine in Spandau für 550 ehemalige DDR-Bürger.

Diese selbst jedoch müssen, auch wenn sie Arbeit gefunden haben, nur einen kleinen Teil davon übernehmen: Alleinstehende Berufstätige 150 Mark, Ehepaare 200 Mark, Paare mit zwei Kindern 250 Mark, mit bis zu vier Kindern 300 Mark. »Eigentlich eine große Ungerechtigkeit, wenn ich an unsere vielen anderen Obdachlosen denke«, sagt Renate Mende, »denen ziehen wir im Sozialamt jeden Pfenning ab, den sie zu viel verdienen.« Und wer jetzt noch aus dem FNL-Gebiet nach West-Berlin »flieht«, wird sofort zurückgeschickt und nicht einmal als Obdachloser anerkannt. Es sei nun an der Zeit, so Mende, schon aus Gerechtigkeitsdenken heraus, daß der Senat die Miete erhöhe, um Dauerheimbewohnung zu verhindern. Thomas Kuppinger