"Belogen und betrogen"

■ Bundeswehr vertuschte jahrelang die Aufklärung über den tod des Soldaten Frank Feldmann/Zeugenaussagen bestätigen die Vermutung, daß er infolge einer CS-Gas-Übung ums Leben kam

Von Bettina Markmeyer

Der Fall könnte klar sein. Ein zwanzigjähriger Soldat der Bundeswehr stirbt wenige Stunden nach einer CS- Gas-Übung im Krankenhaus. Sein Leichnam wird obduziert und die Todesursache geklärt. Seine Eltern, die um ihr einziges Kind trauern, erfahren die Wahrheit.

Doch der Fall liegt anders. Obwohl die Notärztin im Ahauser Krankenhaus St. Marien auf dem Totenschein die Rubrik „Todesursache ungeklärt“ angekreuzt und damit eine Obduktion für erforderlich gehalten hat, wird die Leiche des zwanzigjährigen Frank Feldmann nach seinem plötzlichen Tod am 31. Januar 1986 nicht obduziert. Statt dessen ändert der Kriminalkommissar P. in Ahaus einen Tag später die Eintragung der Ärztin in: „vermutlich natürliche Todesursache“. In Ermittlungsgesprächen mit Feldmanns Vorgesetzten in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld hat P. von einer CS-Gas-Übung kein Wort erfahren. Aus der vagen Angabe vom „vermutlich natürlichen“ Tod folgert die zuständige Münsteraner Staatsanwaltschaft, es gebe „keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“ und gibt am 1. Februar den Leichnam zur Bestattung frei. Davon erfahren die Eltern, Inge und Heinrich Feldmann aus Ahaus, erst zwei Monate später. Sie reagieren mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Staatsanwaltschaft. Die Leiche des Sohnes wird, ein halbes Jahr nach der Beerdigung, exhumiert und obduziert. Die Staatsanwaltschaft teilt den Eltern nun mit: Die Todesursache sei nicht mehr festzustellen. Feldmanns beginnen selbst nach Zeugen zu suchen, wollen wissen, was am Todestag geschah, wenden sich mit Bitten, Briefen und Gesuchen an die Bundeswehr. Sie rennen gegen eine Mauer. Sie wenden sich an den Wehrbeauftragten und werden vertröstet. Jahrelang. Schließlich gehen sie an die Öffentlichkeit, sammeln Unterschriften, und Inge Feldmann demonstriert in Münster mit einem Plakat, auf dem, noch in Uniform, ihr toter Sohn zu sehen ist. Im Juni 1990 schickt das Verteidigungsministerium (BMVg) eine Strafanzeige gegen Heinrich Feldmann an die Borkener Kripo: wegen „Gemeingefährlichkeit“. Kripochef Ludger Stegemann: „Ein bewußter Versuch, die Eheleute Feldmann zu kriminalisieren.“

Über drei Jahre läßt die Truppe sich Zeit, bis sie den Eltern mitteilt, daß Frank Feldmann an seinem Todestag zur „Dichtigkeitsüberprüfung“ seiner Gasmaske im ABC- Raum der Coesfelder Freiherr-vom- Stein-Kaserne war und daß dabei CS- Gas eingesetzt wurde. Feldmanns erfahren außerdem, daß der Vorgesetzte ihres Sohnes, der damalige Oberfeldwebel und inzwischen zum Leutnant beförderte Jörg S., dies zweieinhalb Monate nach Franks Tod in einer dienstlichen Vernehmung angegeben hatte (die taz berichtete).

„Belogen und betrogen haben sie uns“, sagt Heinrich Feldmann. Im Sommer des letzten Jahres erstattete er gegen den ehemaligen Vorgesetzten seines Sohnes Strafanzeige wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Die Münsteraner Staatsanwaltschaft ermittelt. Es ist dieselbe, die Frank Feldmanns Leiche ohne Obduktion zur Beerdigung freigab.

Nach allem, was das Ehepaar Feldmann in den letzten fünf Jahren sehr mühsam zusammengetragen hat, ergibt sich folgendes Bild: Der Soldat Frank Feldmann, seit vier Monaten Wehrpflichtiger bei der Instandsetzungsausbildungskompanie 11/I, wird am 31.1. 1986 in der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne zu einer offenbar schikanösen und schlampig durchgeführten, auf jeden Fall aber unnötigen Gasmaskenübung mit CS-Gas befohlen. Systematisch blockieren die Militärs die Aufklärung der Frage, ob Frank Feldmanns früher Tod mit dieser CS- Gas-Übung zusammenhängt.

Der Untersuchungsbericht des BMVg „über den Tod des ehemaligen Soldaten Feldmann“, der den Eltern im April 1990 zugestellt wurde, geht davon aus, daß nicht mehr aufgeklärt werden könne, was Feldmann am Nachmittag des 31. Januar in der Kaserne getan habe. Demgegenüber erklärt der damalige Stubenkollege Stefan Mende, Feldmann habe nachmittags in den ABC-Raum gemußt und zwar auf Befehl des Oberfeldwebels Jörg S.. Dieser habe Feldmann die CS-Gas-Übung als „erzieherische Maßnahme“ angekündigt. Bestätigt werden Mendes Angaben von einem weiteren Stubenkollegen. Diese Zeugen mußten die Feldmanns selbst ausfindig machen. Feldmanns vermuten, daß Jörg S. ihren Sohn aus Schikane in den ABC-Raum geschickt hat, und zwar nach zwölf Uhr mittags. Exkameraden bestätigten den Eltern das gespannte Verhältnis zwischen S. und ihrem Sohn. Was an jenem 31.1. 1986 jedoch tatsächlich passierte, ließe sich aber nur noch anhand der Dienstpläne herausfinden.

Nach den 1986 gültigen Vorschriften, mußten Tagesdienstpläne bei der Bundeswehr drei Jahre aufbewahrt werden. Doch schon 1987 teilen die Coesfelder Militärs Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft auf Anfrage mit, es gebe keine Unterlagen mehr über den 31.1. 1986. Das könne nicht stimmen, erklärt dagegen der damalige ABC-Abwehrfeldwebel des Instandsetzungsbataillons, der sich erst im Februar dieses Jahres — aufmerksam geworden durch einen Zeitungsartikel — bei Feldmanns meldete. Bis zu seiner Entlassung im April 1988 seien alle Dienstpläne des ABC-Abwehrbereichs vorhanden gewesen. Die Ordner hätten in seinem Büro gestanden. Zudem gebe es Dienstpläne grundsätzlich in mehrfacher Ausfertigung.

Der ABC-Abwehrfeldwebel weiter: Keine Dienstpläne gebe es allerdings, wenn aus erzieherischen Gründen eine Dichtigkeitsprüfung vorgenommen werde. Das sei nämlich auch nach den Vorschriften der Bundeswehr grundsätzlich verboten. Der Feldwebel, der an Feldmanns Todestag nicht in der Kaserne, sondern auf einem Lehrgang war, bemängelt zudem, daß das Personal, welches bei der CS-Gas- Übung am 31.1. 1986 hätte anwesend sein müssen, wie beispielsweise Sanitäter oder der Leiter der Übung, nie als Zeugen vernommen wurden. So sei nicht geklärt worden, wer die Übung geleitet habe, auf wessen Befehl und ob sie ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Der BMVg-Bericht läßt in der Tat all diese Fragen offen.

Offen bleibt auch, wieso Frank Feldmann innerhalb von vier Monaten dreimal dem gefährlichen CS- Gas ausgesetzt wurde. Nicht nur während seiner Grundausbildung in Rheine, sondern noch am 2. Januar 1986 hatte er an einer Gasmaskendichtigkeitsprüfung teilnehmen müssen. Da er nachweislich keine neue Maske bekommen hatte, gab es für die erneute Dichtigkeitsprüfung an seinem Todestag keinen Grund.

Auch den Vorwurf der Eltern Feldmann, ihr Sohn sei krank gewesen und habe schon deshalb nicht in den ABC-Raum geschickt werden dürfen, weist die Bundeswehr — trotz offensichtlicher Widersprüche glatt zurück. — Direkt nach Feldmanns Tod geben seine Vorgesetzten übereinstimmend an, der Soldat habe sich schon tagelang nicht wohlgefühlt. Jörg S. behauptet gar, er habe den Rekruten aufgefordert, „die Sanitätsstelle aufzusuchen“. In seiner dienstlichen Vernehmung zwei Monate später erklärt S. das Gegenteil: Gesundheitliche Probleme bei Feldmann seien ihm nicht aufgefallen. Der Soldat habe mit der CS-Gas- Übung „keine Probleme“ gehabt.

Die naheliegende Frage zu stellen, warum S., laut eigener, früherer Aussage, Feldmann dann aufgefordert hatte, zum Sani-Bereich zu gehen, fällt dem vernehmenden Oberlieutnant nicht ein. Diese Frage muß S. erst in einer weiteren bundeswehrinternen Vernehmung im November 1990 beantworten. Da kann er sich nicht mehr erinnern. Erinnern kann sich aber Stefan Mende, der ehemalige Zimmerkamerad: „Er (Feldmann, die Red.) war offensichtlich erkältet und fühlte sich nicht wohl. Frank erzählte mir, daß er zum Sani- Bereich hätte gehen wollen. Der Oberfeldwebel S. hätte ihm dies jedoch nicht gestattet.“

Doch nicht nur Feldmanns akute Beschwerden, sondern auch sein, bereits bei der Musterung festgestellter, erhöhter Blutdruck, hätten überprüft werden müssen: Beides schließt nach den Bundeswehrdienstvorschriften für den ABC-Abwehrbereich die Teilnahme an ABC- Übungen aus. Zu diesem Ergebnis kommt auch der für den Fall Feldmann zuständige Oberstarzt Wohllebe beim 1. Bundeswehrkorps in Münster. Er kritisiert, „daß bei der Einstellungsuntersuchung des Soldaten Feldmann und der anschließenden ärztlichen Behandlung und Betreuung bedauerlicherweise die festgestellten erhöhten Blutdruckwerte nicht weiter abgeklärt wurden“. Völlig unverständlich ist Wohllebe vor allem „aus ärztlicher Sicht“, aber auch aus rechtlichen Erwägungen, daß nicht obduziert wurde: „Ich meine, daß es juristischer Grundsatz sein sollte, im Zweifel eine Sache weiterzuverfolgen...“

Die Bundeswehr wußte, was sie tat, als sie dem damaligen Staatsanwalt in Münster verschwieg, daß Frank Feldmann wenige Stunden vor seinem Tod im ABC-Übungsraum CS-Gas ausgesetzt war. Hätte man von der CS-Gas-Übung gewußt, dann wäre, so der heute zuständige Staatsanwalt Henning Lenz zur taz, die Leiche nicht freigegen worden, sondern „sehr wahrscheinlich die Entscheidung zu einer Obduktion gefallen“. Dazu der Untersuchungsbericht des Verteidigungsministeriums: „Auf diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft hatten Organe der Bundeswehr keinen Einfluß.“