Irak: Keine Angst mehr vor Saddam Hussein

Der Wunsch nach einer Veränderung des Regimes geht bis in die Spitze der Baath-Partei/ Religiöse und ethnische Opposition wehrt sich gegen Instrumentalisierung von außen  ■ Aus Bagdad Kristoph Kandet

„Ich hasse Saddam Hussein, und ich hasse George Bush — beide sind für die Zerstörung unseres Landes und der Ermordung der Bevölkerung verantwortlich.“ Selbst wenn Sadek, ein irakischer Intellektueller, der in Europa studierte, schon vor Wochen dieser Meinung gewesen wäre — er hätte sie vor Kriegsende kaum geäußert. Noch vor Wochenfrist hätte eine derartige Schmähung Saddam Husseins tödliche Konsequenzen haben können, aber die Situation hat sich verändert. „Dieser Krieg hat nicht nur unser Land zerstört, sondern auch unsere Angst vor dem Regime.“ Sadek ist überzeugt, daß die Mehrheit der Iraker „nicht mehr länger hinnehmen wird, daß ein Mann allein über das Schicksal Iraks entscheidet“. Dabei ist Sadek kein Einzelfall. In allen Gesprächen spürt man in Bagadad derzeit den Frust und die Trauer über „diesen sinnlosen Krieg“. Viele verstehen nicht, warum Saddam den Krieg, der letztlich nur die Zerstörung der ökonomischen und militärischen Kraft des Landes zur Folge hatte, geführt hat. Für Sadek steht auch fest, wie es zu dem Desaster kommen konnte. „Die Diktatur hat in den Krieg geführt. Wäre der Irak ein demokratisches Land, dann hätte die Bevölkerung den Krieg stoppen können.“

Doch die Verbitterung im Irak richtet sich nach wie vor auch an die Adresse der Alliierten. „Wir werden nie vergessen, was die USA, die Europäer und diese arabischen Schweine uns angetan haben. Doch um sie zu bestrafen, müssen wir unser Volk einigen und mobilisieren. Das läßt sich nur mit einem demokratischen System erreichen.“

Entscheidend im Irak nach dem Krieg aber ist, daß solch ketzerische Ideen auch innerhalb des staatlichen Apparats geäußert werden. Vertraulich berichten wichtige Parteifunktionäre, die Katastrophe hätte vermieden werden können, wenn Saddams Fehler durch andere Regierungsmitglieder hätten korrigiert werden können. Deshalb muß das Regime reformiert werden. Über das Wie existieren allerdings wenig konkrete Vorstellungen. Trotz der Frustration scheint es so, daß weite Teile der Bevölkerung keinen radikalen Bruch wollen. Immer wieder hört man, das Regime sei unerträglich, aber ein Sturz Saddam Husseins sei ebenfalls nicht möglich, weil er zur Zeit der einzige Garant für die Einheit des Landes sei. „Wird Saddam gestürzt“, so Khadem, ein 26 Jahre alter Student, „explodieren die Probleme zwischen den unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen im Irak.“ Vor allem die schiitische Mehrheit im Land fühlt sich von den Sunniten unterdrückt. Zum einen werden alle wichtigen Positionen im Staat von Sunniten besetzt, zum anderen fühlen sich die Schiiten in der Ausübung ihrer Religion behindert. Spätestens seit Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges wurden sie im Irak als potentielle fünfte Kolonne Teherans diskriminiert. Nachdem die schiitischen Organisationen in den Untergrund gedrängt oder völlig liquidiert wurden, haben nun die schiitischen Geistlichen neben der religiösen auch die politische Führung ihrer Glaubensbrüder übernommen. Diese sind denn auch bemüht, den Aufstand der Schiiten im Südirak als möglichst unabhängig vom Iran darzustellen. Die wichtigste religiöse Autorität der Schiiten im Irak, Abu Kasem Al- Khoui aus der heiligen Stadt Nadgaf, behauptet sogar, die irakischen Schiiten seien gegen das Regime in Teheran. Ein schiitischer Geistlicher in Bagdad bekräftigte gegenüber der taz diese Position. „Wir wollen nicht die Diktatur Saddams, aber das verrückte Regime in Teheran ist für uns keine Alternative. Wir sind loyal gegenüber dem Irak und wollen lediglich unsere Religion frei ausüben können — ohne die Diskriminierung gegen die Schiiten.“ So soll auch der Aufstand in Basra nichts mit Teheran zu tun haben. Ein Augenzeuge berichtete, viele Aufständische hätten sich zurückgezogen, als bewaffnete Guerillakämpfer aus dem Iran in Basra auftauchten — sie wollten nicht, daß ihre Bewegung von Teheran ausgenützt wird. Irakische Offizielle behaupten gar, der Iran hätte mehr als 10.000 Bewaffnete der „Al Dawa“-Partei nach Basra geschickt und sei dabei von den USA und den Briten unterstützt worden.

Unter den Mitgliedern der zweiten großen Gruppe, die sich im Irak im Aufstand befindet, den Kurden, herrscht gegenüber dem Iran erst recht ein massives Mißtrauen. Fallak, ein 45 Jahre alter kurdischer Händler in Bagdad, hat eine klare politische Präferenz: „Wir sollten mit Saddam jetzt ein richtiges Autonomieabkommen schließen, denn auf die iranischen Fundamentalisten brauchen wir nicht zu hoffen. Schaut euch an, was sie mit den Kurden im Iran machen — sie würen uns einfach vernichten.“ „Das Saddam-Regime“, so Fallak, „ist jetzt schwach — der beste Moment, um ein Abkommen zu machen. Wir sind kein Instrument in ausländischer Hand, um den Irak zu spalten.“ Auch gegenüber dem Westen ist ein großer Teil der Kurden mißtrauisch. Wo, fragt Fallak, war der Westen, als Saddam Hussein 5.000 Menschen in Halabja mit westlichem Giftgas ermorden ließ? „Wenn der Westen etwas für die Kurden tun will, soll er seinen Alliierten Özal zwingen, den Kurden in der Türkei ihre Rechte zuzugestehen.“ Trotz dieser Ablehnung der irakischen Opposition gegenüber einer ausländischen Einmischung steht Saddam Hussein am entscheidenden Punkt seiner Karriere. Wiederum setzt er auf die Karte Repression. Die Ernennung von Ali Hassan Majid zum neuen Innenminister ist ein deutliches Programm. Der Mann gilt als „Eisenfaust des Regimes“, er war für das Massaker in Halabja verantwortlich, und er steuerte als Gouverneur der 19. Provinz des Iraks den Terror in Kuwait. Unmittelbar nach seiner Ernnennung waren die Hauptstraßen in Bagdad wieder demonstrativ mit der Parteimiliz besetzt, vor allem in den Schiiten-Vierteln der Hauptstadt patrouillierte wieder die Polizei. Ob diesmal allerdings allein Repression zum Machterhalt Saddams ausreicht, ist sehr fraglich. Eine Verbesserung der unmittelbaren Lebenssituation, die allein zur Besänftigung der Unzufriedenheit geeignet wäre, ist von Saddam kaum zu bewältigen. Dafür ist die Zerstörung des Landes zu weitreichend und die irakischen Staatskassen zu leer.